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Trauriges Vogelsterben unter Hochseevögeln

Von der Brutkolonie Bass-Rock bei Schottland stammen wohl alle Basstölpel die unsere Insel erreichen.
Sie sind derzeit vom Virus besonders betroffen.

Die Vogelgrippe an der schleswig-holsteinischen Nationalparkküste war bisher ein winterliches Phänomen. In den vergangenen Wochen aber hat sich ein Virus unter Brutvögeln sowie Hochseevögeln wie Basstölpeln verbreitet. Wegen zahlreicher Meldungen aus der Bevölkerung sieht sich die Nationalparkverwaltung nun zu einem Appell veranlasst.

Der lautet: „So traurig der Anblick sterbender Vögel auch ist – an der Vogelgrippe erkrankten Tieren kann man nicht helfen“, so der Leiter der Nationalparkverwaltung Michael Kruse.

Um sie nicht zu beunruhigen oder zusätzlich zu stressen, sollte man sie vielmehr in Ruhe lassen und Abstand halten. Auch tote Tiere sollte man nicht anfassen und außerdem Hunde fernhalten. Funde von verendeten Vögeln im Nationalpark und auf den Landesschutzdeichen können an die Nationalparkverwaltung gemeldet werden, außerhalb dieser Bereiche sind die Ordnungs- und Veterinärämter der Kommunen zuständig.

Bei den aktuellen Funden handelt es sich vor allem um eine noch unbekannte Zahl an Basstölpeln, die jetzt tot oder geschwächt an den Stränden etwa auf Sylt angespült werden. Entsprechende Meldungen gibt es auch aus Dänemark. In den ersten drei Juniwochen sind in Nordfrankreich und den Niederlanden ganze Brutkolonien von Brandseeschwalben mit Tausenden von Paaren durch die Vogelgrippe ausgelöscht worden, auf den schottischen Shetland- und Orkney-Inseln gibt es seit längerer Zeit entsprechende Meldungen über Basstölpel und Skuas.

In Deutschland wurde bereits Anfang Mai ein Vogelgrippe-Ausbruch an der Ostseeküste (Langenwerder/ Mecklenburg-Vorpommern) dokumentiert. Inzwischen sind auch im deutschen Wattenmeer (Minsener Oog/ Niedersachsen und auf Neuwerk im Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer) Brandseeschwalben betroffen. Im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer wurde die Vogelgrippe in der ersten Junihälfte an toten Brandseeschwalben aus der Brutkolonie auf der Hallig Norderoog nachgewiesen sowie an einigen Tieren auf Trischen.

„Über die Hintergründe wissen wir noch kaum etwas“, sagt Michael Kruse; darum nähmen die Nationalpark-Ranger:innen weiterhin Tupferproben von verendeten Vögeln. Die Nationalparkverwaltung stehe in engem Kontakt mit den für Funde außerhalb des Nationalparks zuständigen Kreisbehörden sowie mit dem Landeslabor Schleswig-Holstein und dem Friedrich-Löffler-Institut, die mit der Probenanalyse befasst sind. Bei den vorhergehenden winterlichen Vogelgrippewellen habe sich eine gute Zusammenarbeit auch innerhalb des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN.SH) mit den Kolleg:innen von den Bauhöfen etabliert.

Text: Heike Wells/LKN

Weitere Informationen gibt es hier:

Website der Nationalparkverwaltung:

Sylt NaturReporter im Interview mit Le Figaro zu Ausbauplänen von Offshore-Industrie der Ampel in Nordseegewässern

Sylt/Berlin/Paris
Inselbewohner, Naturschutzverbände und gewählte Umweltschützer prangern die ungebremste Ausbreitung von Windkraftanlagen im Meer an.
Unser LeFigaro-Reporter Pierre Avril berichtet von Sylt

Erschienen am 8.12.2021 in Le Figaro


Von der Westküste der Insel Sylt aus sind die achtzig Windräder des Windparks Butendiek nur an klaren Tagen zu sehen.- Und das war am Donnerstag, den 1. Dezember der Fall, als ein kräftiger, eisiger Nordwind die Wolken vertrieb und dreißig Kilometer in der Ferne eine geradlinige Abfolge von Pfeilern und Windmühlenflügeln sichtbar wurde.

In dem Naturparadies Sylt, der nördlichsten Insel Deutschlands, die mit der Fähre erreichbar ist, stört dieser industrielle Anblick nur minimal den Charme der Insel, dennoch bewegt das einen Teil der 18.000 Einwohner.


„Die Windenergiebranche in Deutschland ist auf der Suche nach neuem Schwung.


Von seinem Haus aus läuft Lothar Koch nur drei Minuten, bevor er sich täglich frühmorgens in die Wellen der Nordsee stürzt. Dabei ignoriert er die vertraute Skyline. Der örtliche Naturschutzaktivist und Sprecher der Grünen gibt jedoch zu, dass diese Windkraftanlagen, mit denen seine neuerdings regierenden Freunde das Meer in Massen zupflastern wollen, ein wichtiger Grund dafür ist, dass er neulich gegen den Koalitionsvertrag gestimmt hat. „Das ist zu gefährlich, das muss gebremst werden“, meint Lothar Koch.

Dass ein Umweltaktivist seine Partei abstraft, weil sie zu viele Windräder gegen die globale Erwärmung aufstellen will ist nicht banal. Sein Verhalten veranschaulicht „das tiefe Dilemma“, in dem sich die Umweltschützer nach der Lektüre des Koalitionsvertrags befinden, der wiederum weitgehend von den grünen Verbündeten inspiriert wurde. Die Regierung kündigte an: „Wir werden die Produktionskapazitäten für Offshore-Windenergie erheblich ausbauen“.Das bedeutet eine Mindestproduktion von 70 Gigawatt im Jahr 2045, zehnmal mehr als die derzeitige Kapazität, verteilt auf die Nord- und Ostsee.

Lothar Koch und seine Freunde haben schnell ausgerechnet, dass in 20 Jahren auf den beiden Meeren, die an Deutschland grenzen, 14.000 Windräder stehen werden, während es Ende 2019 nur 1469 waren. „Die gesamte Nordsee wird dann voller Windkraftanlagen sein und bis 2045 eine ewige Baustelle bleiben“, sagt Koch.
Der Aktivist, der von Beruf Biologe ist, befürchtet, „dass Räume für geschützte Arten verschwinden“. „Die öffentliche Meinung ist sehr sensibel was das Thema globale Erwärmung angeht, da ihre Auswirkungen sichtbar sind, aber sehr wenig für das Aussterben der Artenvielfalt. Dabei sind diese beiden Phänomene eng miteinander verbunden“.


Sieben neue Windkraftanlagen pro Tag


Butendiek ist einer von dreiundzwanzig Windparks, die im Namen der Förderung erneuerbarer Energien im deutschen Teil der Nordsee errichtet wurden. Um die Klimaziele zu erreichen, die auf der Konferenz in Glasgow bestätigt wurden, hat Deutschland nach dem Ausstieg aus der Atom- und Kohlekraft keine andere Wahl, als die Windkraft zu verdoppeln: Laut dem Magazin Stern sind das sieben neue Windräder pro Tag!


Vor Sylt haben sich die Rotorblätter in die Landschaft einigermassen eingefügt. Doch die kontroverse Geschichte der Baustelle könnte wie ein Lehrbuchbeispiel auf eine der größten Herausforderungen der Koalition hindeuten. Die Insel liegt im Wattenmeer, das seinerseits seit 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört und das größte Naturschutzgebiet des Landes (4400 km²) ist. Die Windkraftanlagen von Butendiek befinden sich in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und wurden 2003 für den Bau zugelassen.
In jenem Jahr beeilte sich der grüne Umweltminister der Regierung Schröder, Jürgen Trittin, dem Projekt grünes Licht zu geben, obwohl er wusste, dass sich das rechtliche Fenster ein Jahr später wieder schließen würde: Der Windpark befindet sich heute in einem Vogelschutzgebiet, in dem vor allem Gaviiden leben, eine Familie von Tauchvögeln, die lange Zeit über der Wasseroberfläche schweben, bevor sie nach ihrer Beute unter Wasser tauchen.

Im Jahr 2004 wurde das Sylter Riff zum Vogelschutzgebiet erklärt. Auch Schweinswale und Kegelrobben, die am oberen Ende der Nahrungskette stehen, halten sich in dem Gebiet auf. Im Sommer wagen sich die Säugetiere zur Freude der Touristen ganz nah an die Stände heran.


Biologen zufolge hat sich die Population der Nordseeschweinswale, die derzeit im deutschen Gebiet rund 23.000 Tiere umfasst, in den letzten 20 Jahren aufgrund der Kombination aus Windkraftanlagen und Fischerei um die Hälfte verringert. Der große deutsche Naturschutzverband NABU ließ sich auf einen langen und kostspieligen Rechtsstreit ein, der im Mai 2021 mit einem Pyrrhussieg endete. Das Verwaltungsgericht Hamburg machte den Weg frei für einen Betriebsstopp des Windparks, falls die Schädigung des Lebensraums der Gaviiden dokumentiert werden sollte.

Die wahren Hoffnungen des Vereins hängen nun von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ab. „Windenergie trägt zur Energiewende bei, und wir unterstützen diesen Prozess, aber nur, wenn das Augenmaß gewahrt bleibt“, sagt Kim Detloff, Meeresschutzexpertin des NABU. Der Verband schätzt, dass die Zahl der Tauchvögel infolge des Baus der in der Nordsee errichteten Windkraftanlagen um 30 % zurückgehen wird.

Auch Hochseefischer und die Gemeinde Sylt haben gegen den Windpark geklagt. Die sehr exklusive Gemeinde Kampen, in der Villen zu hohen Preisen verkauft werden und Luxusboutiquen neben großen Autos zu finden sind, wurde vor dem Verfassungsgericht abgewiesen.
Im Nachbarort Sylt, der als Hauptstadt fungiert, befürchtet Bürgermeister Nikolas Häkel, dass dieses kleine Paradies, das ausschließlich vom Tourismus abhängt, durch die Windkraftnutzung verschmutzt werden könnte. „Unsere größte Sorge gilt weniger den Vögeln als vielmehr dem Schiffsverkehr, der durch diese Projekte verursacht wird, und dem Risiko, dass Öl an den Stränden ausläuft“, erklärt der Politiker.

Die Umweltschützer kritisieren auch den ständigen Verkehr von Schnellbooten, die von der dänischen Grenzinsel Römö aus Wartungstechniker zu deutschen Windparks bringen, was Meeressäuger vertreibt.


„Ein Science-Fiction-Projekt“ in der Nordsee


Im Gegensatz dazu setzt die winzige Nachbarinsel Helgoland auf den Windkrafttourismus und bietet „grüne“ Ausflugstouren zu den Parks an. Katja und Sonja, ein befreundetes Paar aus Hamburg, sind von den Werbeprospekten der Tourismusagenturen angetan. „Sicherlich kann das Versenken von Rohren im Meer schädlich für Schweinswale sein, und die Aussicht ist auch nicht so toll. Gleichzeitig bilden diese Masten einen neuen Lebensraum für Muscheln und Krebse. Was die Zugvögel angeht, so haben wir auch welche, die gegen unser Fenster fliegen“, verharmlosen die beiden jungen Frauen, die am Strand spazieren gehen, Windkraftanlagen verteidigen und bei den Wahlen für die Grünen gestimmt haben.


Auf der anderen Seite des Spektrums sind die Windkraftunternehmen in widersprüchlichen Anordnungen gefangen. Die verschiedenen Klagen gegen Butendiek haben zusammen mit den Problemen der Aktionäre dazu geführt, dass sich der Baubeginn um zehn Jahre verzögert hat. Neben den Klagen von Umweltschützern und Anwohnern macht dem niederländischen Konzern Tennet, dem alleinigen Betreiber von Offshore-Stromverbindungen in Deutschland, die dezentralisierte deutsche Bürokratie zu schaffen.


Das sehr windige, von der Nordsee umspülte Bundesland Schleswig-Holstein ist ein beliebter Ort. Der ehemalige Landesumweltminister Robert Habeck, heute Klima- und Wirtschaftsminister in der Regierung Scholz, gilt als Verbündeter der Unternehmen der Branche.
Tennet erwartet viel von den neuen Behörden, ohne sich Illusionen zu machen. „Wir werden aufgefordert, in der Hälfte der Zeit doppelt so viel Infrastruktur aufzubauen. Um das zu erreichen, müsste die Planungsdauer für die Arbeiten auf vier Jahre reduziert werden, plus vier Jahre für die Umsetzung. Derzeit werden jedoch allein für die Planung zehn Jahre benötigt. Der Prozess, Kompromisse zu finden, muss beschleunigt werden“, plädiert ihr Sprecher Mathias Fischer.

Mit sehr vagen Aussagen zur Umsetzung, gibt der Koalitionsvertrag lediglich „Windkraftanlagen Vorrang“ bei der maritimen Nutzung und betont die Notwendigkeit, „miteinander verbundene“ Unterwassernetze zu bauen. Das Bundesumweltministerium bestreitet, dass es Schwierigkeiten gibt. Das Landesministerium von Schleswig-Holstein ließ seinerseits die mehrfachen Anfragen des Figaro unbeantwortet.


„Wir müssen Lösungen finden, denn es macht uns keinen Spaß, vor Gericht zu gehen. Leider zeigen die Politiker sich als zu feige, bedauert NABU-Experte Kim Detloff, der aber nicht kapitulieren will.
Ein Beispiel: Das Unternehmen Tennet plant heute in der Nordsee, 120 Kilometer vor Sylt, eine gigantische Plattform zur Anbindung von Windenergie-Stromtrassen zu bauen. Die NGO kritisiert dieses „Science-Fiction-Projekt“, das mit den Projekten der Golf-Emirate vergleichbar ist und ihrer Meinung nach „das Ökosystem der Nordsee umwälzen wird“ ….

LKN: Neue Leitung fürs Wattenmeer

Michael Kruse ist neuer Nationalpark-Chef

Der 61-jährige Diplom-Agraringenieur Michael Kruse wird Montag (15. Juni) in Tönning seinen Dienst als Leiter des Geschäftsbereiches Nationalpark und Meeresschutz im Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN.SH) aufnehmen. 

Michael Kruse- neuer Leiter des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer

„Es ist schön, dass ich dazugehören darf“, sagt der neue Nationalpark-Chef und strahlt das auch aus. „Ein Monitoring auf hohem wissenschaftlichen Niveau, die Vielzahl von Schutzkonzepten und rechtssicheren Genehmigungsverfahren, eine vom Ellenbogen bis zur Elbmündung augenfällige Nationalpark-Präsenz und die bald bestimmt wieder hohen Gästezahlen im Multimar Wattforum – da gerate ich schon vor Dienstbeginn ins Schwärmen“, freut sich Kruse.

An der Unterelbe aufgewachsen, faszinieren ihn Vögel bis heute. Er kennt ihre Stimmen und beteiligt sich seit Jahren am ehrenamtlichen Vogelmonitoring. Nach dem Landwirtschaftsstudium und Referendariat in Kiel arbeitete er fast zwanzig Jahre als Landschaftspflege- und Naturschutzdezernent im ehemaligen Amt für Land- und Wasserwirtschaft in Heide und im Staatlichen Umweltamt Itzehoe – beides Ämter, die Jahre später im LKN.SH aufgingen. Zu seinen Themen gehörten die Hochmoorrenaturierung am Hohner See, die Flurbereinigungen in der Mieleniederung, landschaftspflegerische Begleitpläne für eine kleine Rückdeichung bei Büsum oder die Naturwaldbildung in Lauenburg.

2005 übernahm der studierte Agraringenieur im Umweltministerium die Zuständigkeit für Vertragsnaturschutzprogramme. Durch das Halligprogramm und andere Landwirtschaftsthemen sind ihm viele Akteure und Orte der Nationalparkregion bestens bekannt. 2016 übernahm er im Umweltministerium die Referatsleitung für Ökolandbau und Cross Compliance, die Umsetzung des EU-Regelwerks zur Auszahlung von Agrarsubventionen.

Nicht nur dem Naturschutz, auch dem Küstenschutz ist Michael Kruse fachlich und emotional nahe: Der kleine Landwirtschaftsbetrieb, den seine Frau im Nebenerwerb betreibt, liegt hinter dem Mitteldeich der Seestermüher Elbmarsch. Michael Kruse ist ehrenamtlich im Deich- und Hauptsielverband engagiert und betreut als Deichgraf einen Deichabschnitt. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist es ihm gerade in Zeiten von Klimawandel und Meeresspiegelanstieg besonders wichtig, die Herausforderungen im Wattenmeerschutz gemeinsam mit Naturschutz, Küstenschutz, kommunaler Ebene und Verbänden anzupacken.

Noch steht er binnendeichs- bald kriegt er Weitblick.

„Erfahrener Naturschützer und ehrenamtlicher Deichgraf – welch passende Basis für einen Nationalpark-Chef und stellvertretenden LKN-Direktor“, freut sich Birgit Matelski, die Direktorin des LKN, die Michael Kruse am Montag in seine neue Aufgabe einführen wird. 

Pressemitteilung des Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein
Dr. Hendrik Brunckhorst, Fotos: Archiv LKN/SH

Nationalpark-Feeling auf Sylt- echte Lebensqualität pur!

In den Wochen des „Shut Downs“ zeigt sich die Insel das erste Mal zu meinen Lebzeiten so, wie sie uns sonst nur in Werbeprospekten und Internetseiten von Touristikern, Naturfilmern und Landschaftsfotografen schmackhaft gemacht wird: Natur pur. 

Pfuhlschnepfen am Rantum Becken, Foto: Dr. Thomas Luther

Fotografen müssen sonst normalerweise gegen 5:00 Uhr auf die Pirsch gehen, um Bilder einer makellosen Landschaft zu schiessen. Nur wenige Stunden später wird die Insel ja sonst von Menschen geflutet. Wer jetzt auf Sylt ausgedehnte Spaziergänge unternimmt, was gottlob, anders als in Spanien und vielen anderen Ländern gestattet ist, kann auf einer tieferen Ebene begreifen, weshalb Sylt als Insel im Welterbe Wattenmeer bezeichnet wird, ja eigentlich selbst den Rang eines Nationalparks haben könnte.

Und ich meine nicht nur die endlos wirkenden, einsamen sylter Strände, die majestätisch still daliegende Dünenlandschaft und die Weite des Meeres.

Nonnengänse, Foto: Dr. Thomas Luther

Das Nationalpark – Feeling kommt derzeit im April am ehesten rund um das Rantum Becken auf. Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort fliegen mir hier derzeit 70 000 Knutts und Pfuhlschnepfen förmlich um die Ohren. Ich stehe auf dem Rantum Beckendeich bei nahezu Windstille und einer österlichen Frühlingssonne, die schon so stark ist, dass sie mein Gesicht bräunt. Beim Blick über die Schilfflächen sind die rastenden Watvögel, die gerade von den Atllantikküsten Westeuropas eingetroffen sind, leicht zu übersehen. Erst bei genauerem Beobachten fällt mir auf, dass sich die vermeintliche Landzunge bewegt. Ein Blick durch das Fernglas schafft Klarheit. Die „Landzunge“ besteht in Wirklichkeit aus einem geschlossenen Teppich kleiner Wattvögel in graubraunem Gefieder, die dichtgedrängt eine vibrierende Fläche im Sonnenlicht bilden. Knutts und Pfulschnepfen machen die Masse aus, aber auch Alpenstrandläufer und Kiebitzrgenpfeifer sind darunter. Sie gehören zu den „Schwarmvögeln“, die zweimal im Jahr für einige Wochen im Wattenmeer Station machen, um sich „Treibstoff“ für die Non-Stop Weiterreise nach Grönland und Kanada oder Sibirien und zurück anzufressen. Ein Kaninchen rast aufgeschreckt nahe der Rastvögel durchs Gras. Augenblicklich erhebt sich die gesamte „Landzunge“ und verwandelt sich in eine „Luftqualle“. Zigtausende steigen gleichzeitig auf. Ich höre ein Rauschen, ähnlich einer Windboe, die durch einen Wald weht. Quallenartig bewegt sich die Formation in akrobatischen Luftnummern. Dabei changiert im Sonnenlicht die Farbe zwischen grellweiss und braun und grau, je nachdem, welche Körperseite die Vögel im Schwarm gerade zeigen.
Nach einigen Runden fliegen sie eine Kehrtwende genau auf mich zu. In fast greifbarer Nähe fliegen Tausende der Tiere über meinen Kopf hinweg und wechseln auf die Wattseite. Dort lassen sie sich auf der Spitze einer kleinen, hellen Sandbank nieder und bilden erneut eine tierische „Landzunge“. Die würden die  meisten Wanderer und Radfahrer wohl übersehen, wenn sie den Radweg am Deichfuss, nahe der Sandinsel entlanggingen oder -führen. Aber da geht oder fährt gar keiner. Ich bin ganz allein, mitten im „Nationalpark Sylt“, mitten unter Zig-Tausenden von Wildtieren, die in ihrer eigenen Welt leben, ihre eigene, von Ebbe und Flut geprägte Agenda haben: Fliegen, rasten, fressen, fliegen, rasten, fressen. Immer in engem sozialen Verband, immer im Gleichklang. Ich überlege, wie wird „social distancing“ wohl auf lange Sicht unsere Gesellschaft verändern? Wird sich wieder alles normalisieren? Eine Tagesschausprecherin hat gestern gesagt, der Handschlag, den wir uns gaben, wird wohl für immer aus unserem Repertoire der Höflichkeiten verschwinden. Und was ist mit Umarmungen von guten Freunden? Kann das der richtige Weg sein- müssen wir uns wirklich dauerhaft dem Diktat von Viren und Hygienikern beugen?

Nonnengänse im Nössekoog, Foto: Dr. Thomas Luther


Ich radle auf dem Beckendamm weiter nach Norden und hinter dem Deichkreuz über den Nössedeich in die Tinnumer Wiesen. Noch bevor meine Augen etwas wahrnehmen, haben meine Ohren schon die Masse an Vögeln bestimmt, die sich mit Rottrottrott ankündigen und auf den grünen Wiesen hinter dem Deich rasten und äsen: Nonnengänse! Die schwarz-weissen Vögel mit den langen Hälsen und den weissen Wangen sind selten in derart grossen Schwärmen wie derzeit auf den Wiesen zu beobachten. Und es kommen immer mehr. Von Südosten schwärmen sie am laufenden Band ein und zeichnen dunkle Pfeile gegen den strahlend blauen Osterhimmel. Sie kommen jetzt von den britischen und französischen Küsten, wo sie die kalte Jahreszeit verbringen und werden Ende Mai in Richtung Sibirien weiter ziehen. Sie reisen dann gemeinsam mit ihren Vettern und Cousinen, den dunkelbäuchigen Ringelgänsen, die jedoch ihre pflanzliche Nahrung nicht binnendeichss, sondern auf den Schlickflächen und Salzwiesen des Nationalparks suchen. 

Während der Airport Sylt stillgelegt ist, herrscht also reger Flugbetrieb in den Tinnumer Wiesen. Im Vergleich zu den Watvögeln des Rantumbeckens wirken die Gänse jedoch wir Airbusse- und die noch grösseren Graugänse wie Jumbo-Jets. Vereinzelt sind auch die seltenen Uferschnepfen auf den Wiesen zu beobachten. Früher ein „Allerweltsvogel“, stehen sie heute auf der Roten Liste. Leider fehlt von den Kampfläufern, die noch bis zur Jahrtausendwende zu dieser Zeit im Nössekoog ihr spektakuläres Balzspiel vorführten jede Spur. Sie scheinen hier ausgestorben zu sein. Wesentliche Gründe liegen wohl an Biotopschwund, Raubwildvermehrung und Stördruck durch Wanderer und Fahrzeuge. Die Wiesenvögel brauchen triefnasse Wiesen, Bereiche wo kein Fuchs ihre Gelege findet und haben  alle eine grosse Fluchtdistanz. Vielleicht ist das Geschenk der Ruhe in diesem Frühjahr eine Unterstützung für diese Arten, die sonst permanent von freilaufenden Hunden, rasenden Autos und lärmenden Radfahrern aufgeschreckt werden. Auf jedenfall sind sie auf den Fennen viel zutraulicher, als zu Normalzeiten.

Die Ruhe ist wirklich paradiesisch, trotz, oder gerade wegen des Rotrottrotts, des Gefiepes und Gezwitschers.
So dürfte es auf Sylt immer sein. Aber was ist mit den Menschen? Die leben hier fast alle vom Tourismus. Ja, aber was ist mit Lebensqualität? Wir sollten intelligente Lösungen finden; einen Neustart nach der Krise hinlegen, der nicht panikbestimmt Corona-Löcher in den Kassen füllen will, sondern sich auch auf das Wesentliche besinnt. Natürlich muss es für uns alle ausreichend Möglichkeiten geben mehr als nur die Existenz zu sichern, deswegen wünscht sich niemand eine leere Insel. Aber Glücksforscher haben bewiesen, dass der Kontostand ab einer gewissen Grundsicherung nichts mehr mit dem inneren Glücksgefühl und Wohlbefinden zu tun hat. Vielleicht haben dass ja eine ganze Menge Insulaner in diesen Wochen gespürt? Was würde uns persönlich und als Inselgesellschaft denn reichen? Das könnte eine interessantere Frage sein als „Wieviel Gewinn können wir denn noch machen?“.

Uferschnepfe in den Morsmer Wiesen, Foto: Dr. Thomas Luther

Ach ja! Und dann war ja noch das Ding mit dem Klimawandel- eine Herausforderung, die schon hinter der nächsten Ecke wartet.

Text: Lothar Koch, Biologe & Autor
Fotos: Dr. Thomas Luther

Parteien bringen Antrag auf Elektrifizierung der Marschbahn in Kreistag ein

In Einigkeit bringen Grüne, CDU und FDP folgenden Antrag in den Kreistag ein, der endlich die Dieselverschwendung auf der Marschbahnstrecke zwischen Itzehoe und Westerland beenden soll. Technische Hürde ist dabei der Nationalpark Wattenmeer: Oberleitungen könnten den Zugvögeln gefährlich werden.

Die Kritik an der Dieselstrecke war Thema auf der Sylter Klima-Demo in 2019

Beratung und Beschlussfassung über eine Resolution an die Landesregierung Schleswig-Holstein zur durchgehenden Elektrifizierung der Marschbahn

Der Kreistag möge über folgende Resolution an die Landesregierung beraten und beschießen: Der Kreis Nordfriesland bittet die Landesregierung, derart auf den Bund einzuwirken, dass – unter Beachtung der Naturschutzverträglichkeit im Wattenmeer – die Planungen für eine durchgehende Elektrifizierung der Marschbahn sofort aufgenommen und die Umsetzung vorangetrieben wird. Um zusätzliche Streckensperrungen zu vermeiden, geschieht dies optimalerweise parallel zum zweigleisigen Ausbau.

Begründung:

– Fachleute der Deutschen Bahn haben zu erkennen gegeben, dass die Beschaffung von Diesellokomotiven immer schwieriger wird. Mit einer Einstellung der Produktion in Deutschland ist in absehbarer Zeit zu rechnen. Eine Umstellung auf Elektrotraktion ist daher unumgänglich.

– Eine Elektrotraktion verhindert Ruß- und CO2-Ausstoß vor Ort und hilft damit, die Klimaziele von NF zu erreichen. Allein auf der Strecke Niebüll-Westerland mit dem Syltdamm durch das Weltnaturerbe Wattenmeer können auf diese Weise 5 Millionen Liter Diesel, verursacht allein durch die Autozüge, jährlich eingespart werden.

– Elektroloks benötigen für gleiche Leistung weniger Energie und sind deshalb wirtschaftlicher.

– Aufgrund der zu erwartenden Kosteneinsparungen beim Umstieg von der Diesel- auf die Stromversorgung amortisiert sich die Umrüstung auf Elektroloks zeitnah.

– Durch erhöhte Beschleunigungswerte von E-Lokomotiven sind zusätzliche Unterwegshalte bei gleicher Taktung möglich. Die Attraktivität des SPNVs lässt sich dadurch erhöhen.

– Durch eine Elektrifizierung könnte die Marschbahnstrecke mehr touristische und für die Verkehrswende wichtige Personenfernverkehrsverbindungen (ICs) erhalten, deren Zahl im Vergleich zu anderen touristischen Regionen derzeit deutlich zurück bleibt.

– Es steht elektrische Energie in unserer Region ausreichend zur Verfügung.

Für die Fraktionen

Frank Petersen Esther Drewsen Jörg Tessin

(CDU) (B90/Grüne) (FDP)