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Silbermöwen auf Sylt: zum Brüten bleiben fast nur Flachdächer

Skizze von J.F. Naumann Listland 1924

Skizze von J.F. Naumann Listland 1824

Sylt, Nordsee- das schmeckt nach Meer und Salz und klingt nach Brandung, Wind und

Die Möwe Jonathan

Die Möwe Jonathan

….Möwengeschrei.

„Seemöwen“, wie die Vogelfamilie der Lariden gern pauschal von Urlaubern genannt wird, gehören zur Küste wie  Seehunde, Wattwürmer und Fischbrötchen. Gemeint sind meistens Silbermöwen (Larus argentatus). Das sind die eindrucksvollen Flieger mit den fleischfarbenen Beinen, den blaugrauen Flügeldecken und dem zur Brutzeit sichtbaren roten Punkt auf gelbem Schnabel. „Emma“ werden sie gern abfällig gerufen, wenn sie am Strand zwischen Strandkörben kreischend nach Futter suchen und ehrfürchtig „Möwe Jonathan“ genannt, wenn sie elegante Flugmanöver am Himmel vollführen.

Auf Sylt gehören Silbermöwen zu den Ureinwohnern. Menschen hatten schon immer eine ambivalente Beziehung zu Silbermöwen. Manche verehren Sie als Sinnbild der Freiheit und des Meeres, andere verteufeln die nützlichen Aasfresser als Ratten der Lüfte. Manche wollen sie um ihrer selbst willen schützen andere vernichten, im Glauben empfindlichere Vogelarten vor dem Zugriff der Möwen zu retten.

Als Quelle der Ausbeutung wurden sie schon vor 260 Jahren gesehen. Da heisst es in einer Sylter Chronik von 1758, man habe den Möwen mit Stricken am Strand nachgestellt, die sauber unter dem Sand verborgen lagen, an denen ein kleiner Fisch befestigt wurde. Das Fleisch der Möwen habe jedoch „geil (herb) und thranig“ geschmeckt.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verdienten einige Sylter sehr gut durch den Verkauf von Möweneiern. Allein im Listland soll der „Eierkönig“ jährlich 30 000-70 000 Eier gesammelt haben. An der Hörnumer Odde sollen es 10 000-20 000 Möweneier pro Jahr gewesen sein. Das spricht für große Brutkolonien mit vielleicht 10 000 -20 000 Brutpaaren.

Als der Begründer der Vogelkunde Mitteleuropas, Johann Friedrich Naumann, 1819 das erste Mal Sylt bereiste, berichtete er begeistert: „Im süssen Gefühl des höchsten Genusses, im sinnigen Anschauen dieser ornithologischen Herrlichkeiten versunken, sah ich diese sonst und ohne Vögel wohl traurige Gegend.“ (s. sein Gemälde der Situation von 1824).

Mit dieser Veröffentlichung hat sich J.F. Naumann als der Begründer des Naturtourismus verewigt, denn es folgten viele Ornithologen und Naturfreunde seinen Spuren, um Ähnliches auf Sylt zu erleben.

Damals hatte der „Eierkönig“ die Funktion eines Bewirtschafters der Seevogel-Kolonien. Es wurden gerade soviel Eier abgesammelt wie möglich, ohne aber den Bestand zu gefährden. Den Rest der Brutzeit wurden die Kolonien dann vor Feinden und Eierdieben bewacht, um im Folgejahr erneut Eier ernten zu können. So kann man den Lister Eierkönig als den ersten Vogelwart bezeichnen, auch wenn dessen Beweggründe eigennütziger Natur waren. Ab 1870 war es per preussischem Gesetz vorbei mit dem Eiersammeln. Das hatte jedoch auch den Wegfall der Schutzfunktion zur Folge. Das Ergebnis war ein wildes Absammeln der Gelege und drastisch sinkende Brutpaarzahlen.

Um 1900 war der Bestand der Sylter Silbermöwen bereits auf 2000 Brutpaare reduziert. Der erste Weltkrieg halbierte den Bestand dann abermals durch zahlreiche Bauten und militärische Bewegungen in den Dünen. Nach dem zweiten Weltkrieg brachen die Brutbestände der Seevögel dann völlig zusammen, weil die Tausende auf Sylt untergebrachten, hungernden Flüchtlinge alle Eier absammelten, die sie entdecken konnten.  Ende der 1940 Jahre hatten Füchse den inzwischen gebauten Hindenburgdamm als Landbrücke zwischen Festland und Sylt entdeckt. Das besiegelte das Ende nennenswerter Seevogelkolonien auf Sylt, da die Gelege der Bodenbrüter leichte Beute für Füchse sind.

Zu der direkten Dezimierung der Brutbestände kam noch die akribische Zupflanzung jedes offenen Quadratmeter Dünenlandes aus Küstenschutzgründen. „Dünenschutz ist Inselschutz“ ist die tiefe Überzeugung der Insulaner bis auf den heutigen Tag. Durch die dichte Bepflanzung stagnierten die Dünen jedoch immer mehr. Sandanrisse und Sandflug, wie es zu einer natürlichen, dynamischen Dünenlandschaft gehört, blieb bis heute aus. Das Brutbiotop der Silbermöwe erfordert jedoch vegetationsschüttere Gaudünenbereiche oder kurzgeschorene Dünen- und Salzwiesen. Mit dichten Krähenbeerenheiden und Strandhafersteppen können die Möwen wenig anfangen. Deswegen ist die gewaltig schöne Dünenlandschaft zwischen Hörnum und List weitgehend zu einer unbelebten Kulisse degeneriert.

Nach dem Tief der Kriegszeiten stieg der Brutbestand von Silbermöwen an der gesamten deutschen Küste in den 50iger-80iger Jahren wieder drastisch an (nicht auf Sylt). Motor dieses Wachstums waren  offene Müllkippen einer aufblühenden Wohlstandsgesellschaft, die auf manchen Nordseeinseln direkt ins Wattenmeer hineingebaut wurden. Ein Überfluss an Nährstoffen über die Flüsse ins Meer (Eutrophierung) und leicht verfügbare Fischereiabfälle von küstennah operierenden Fisch- und Krabbenkuttern halfen kräftig mit, die Möwen zuzufüttern.

1986 hatte der Brutbestand der Silbermöwen an der deutschen Nordseeküste etwa wieder die Zahl von 1939 erreicht (45 000 BP). Ab Mitte der 1980iger Jahre  wurden jedoch aus Umweltschutzgründen alle offenen Müllkippen geschlossen. Auch die Küstenfischerei änderte sich erheblich. Viele kleine Kutter wurden von Industrieschiffen verdrängt, die weit draussen auf See operieren und den Fisch direkt an Bord verarbeiten. Die Einleitung von Schad- und Nährstoffen in die Nordsee wurde drastisch verringert.

Dieser „Nahrungsentzug“ führte zu einem erneuten Rückgang der künstlich hochgepuschten Silbermöwenbestände. Dieser Rückgang hält bis heute an. Im internationalen Wattenmeer zählten Ornithologen 1991 noch 85 000 Silbermöwen und 2006 nur noch 60 000 Individuen.

Auf Sylt geht der Rückgang von brütenden Silbermöwen mittlerweile besorgniserregend gegen Null. Um die Jahrtausendwende wurden auf der ganzen Insel noch 409 Brutpaare der Silbermöwe gezählt (davon 390 auf der grossen keitumer Sandinsel in der Rantumer Bucht. Im Jahre 2011 waren es gerade mal noch die Hälfte (233 BP).

Inzwischen ist der letzte bedeutende sylter Brutplatz der Silbermöwe, die grosse keitumer Sandinsel, weiter erodiert und durch Sandverwehung bis an den Deichfuß herangewandert. Damit ist der Bereich für Füchse jederzeit erreichbar und als Brutbiotop für Silbermöwen nicht mehr attraktiv.

Da bleibt den Möwen nur die Möglichkeit zur fuchsfreien Insel Amrum weiterzuziehen, oder  andere vor Bodenfeinden geschützt Orte im Wattenmeer aufzusuchen. Einige Möwen haben die Flachdächer an der Promenade Westerland entdeckt. Mit ihren Kiesauflagen sind manche Dächer optimal zur Brut und Rast geeignet: fuchssicher, nah an den

Westerländer Raubritter (Archiv: Schutzstation Wattenmeer)

Westerländer Raubritter (Archiv: Schutzstation Wattenmeer)

Nahrungsquellen Strand, Crepesbude, Fischbude.

Hochhäuser als die letzten Reservate der Sylter Silbermöwen! Was würde wohl J.F. Naumann heute dazu sagen?

Lothar Koch

 

NDR Fernsehen-Beitrag mit dem Autor zum Thema

 

 

„Killermöwen“ entern Westerland

Pünktlich zu Ostern haben wir sie wieder: die Möwendiskussion von Westerland.
Möwensicherer Müllsack in Cornwall: Den Möwen Zufütterung zu entziehen ist die bessere Strategie als Vergrämung.
Möwensicherer Müllsack in Cornwall: Den Möwen Zufütterung zu entziehen ist die bessere Strategie als Vergrämung.

Mördermöwen, Horrorfilm, Raubvögel und schlimmere Bezeichnungen werden in dem Zusammenhang genannt. Der Grund: Auf den Flachdächern der hohen Häuser direkt an der Strandpromenade beginnt das Brutgeschäft von Silbermöwen.

Von Natur aus brütet diese Seevogelart in großen Kolonien von bis zu 15 000 Paaren. Sie benötigen vegetationsarme, überflutungssichere  Flächen, um ihre Nester zu bauen. Diese Flächen werden so ausgewählt, daß sie sicher vor Bodenfeinden, wie Fuchs und Marder sind und nah an nahrungsreichen Gebieten liegen.  Bevor der Mensch die Inseln bis an die Strandkante besiedelte, Dünen und Strände pausenlos für sich  zu nutzen begann und Brückenwege für Raubwild vom Festland baute (Hindenburgdamm), waren solche Flächen im Wattenmeer reichlich vorhanden. Mit zunehmender Besiedlung zogen sich die Möwenkolonien auf kleine, abgelegene „Vogelinseln“ zurück, wie Memmert, Norderoog oder Jordsand. Im Wattenmeer fischten sie nach Nahrung und flogen auf die sicheren Vogelinsel zurück, um ihren Nachwuchs zu füttern.

Offene Müllkippen in den 1960/70iger Jahren führten dazu, daß sich die Tiere zunehmend auch an Zivilisationsmüll auf den Inseln gütlich taten und sich dadurch stark vermehrten. Die Schliessung dieser Müllkippen in den 1980iger Jahren führte dann kurzfristig zu einer Hungerperiode des stark gewachsenen Bestands und er reduzierte sich wieder.

Bei den Möwen von Westerland an der Promenade dürfte es sich um Nahrungsspezialisten handeln, die über einige Generationen gelernt haben, daß zwischen Crepesbuden, Eisständen, Strandkörben und Mülleimern ein gutes Auskommen zu machen ist. Deshalb haben sie , mangels natürlicher Alternativen, die vom Menschen bereitgestellten Flachdachareale dankend angenommen.

Vorsorgliche Maßnahmen, die geeignet sind, sie dort erst gar nicht brüten zu lassen, sind allemal besser, als die Gelege später zu zerstören. Aber technisch ist das schwierig, da die Möwen immer dazulernen.
Wir haben den eleganten Seevögeln, die ja seit Tausenden von Jahren zum Meer gehören, sukzessive ihre angestammten Brutplätze genommen.  Das maritime Geschrei der Möwen gehört zur Küste wie der Wind. Wie wäre es denn mal nach dem Verursacherprinzip zu handeln und statt die Möwen zu vertreiben etwas zum Lärmschutz zu tun?
Schalldichte Bauweise, Ohropax und ähnliches könnte helfen– und vor allem ein entspannteres Verhältnis zur Sylter Nordseenatur.

Tierischer Beitrag zur Möwendiskussion

Westerländer Raubritter (Archiv: Schutzstation Wattenmeer)

Westerländer Raubritter (Archiv: Schutzstation Wattenmeer)

27.7.2013
Seit einigen Wochen stopft die Sylter Rundschau, wie alle Jahre wieder, ihr Sommerloch mit der leidigen Diskussion, ob man denn nicht irgendetwas gegen die mörderischen Möwen von Westerland machen müsse.

Uns flatterte ein tierischer Leserbrief dazu in die Redaktion:

Scheiss drauf…Krächz, kia,

Die Möwe Jonathan

Ist wohl Zeit, dass ich mich mal zu Wort melde, krächz. Ich bin die Silbermöwe Jonathan

und Sylter in der 150.Generation. Beim Auspicken der Mülltonnen in der Friedrichstrasse hab ich die infamen Artikel in der Sylter Rundschau gegen uns Gefiederte gelesen. Ich hab natürlich gleich auf euer Geschreibsel geschissen. Also mal ehrlich: ohne uns Vögel gäbe es doch gar keine Schreiberlinge- ihr erinnert euch doch wohl, dass das Schreiben nur mittels Federkiel erfunden wurde!?

Glaubt ihr eigentlich immer noch an den dummen Scherz, dass ihr die Krone der Schöpfung seid? Wer hat denn bislang das größte Chaos auf diesem Planeten verursacht? Menschen oder Vögel? Ihr seid es doch, die sich in den letzten Winkel der Welt ausbreitet- und auf dem Weg haltet ihr täglich Millionen meiner Federvieh-Genossen in Konzentrationslagern, um sie barbarisch zu töten und aufzufressen.

Und auf Sylt?: Meine Vorfahren lebten hier ruhig und zufrieden. Zu Tausenden konnten wir in der weiten Dünenlandschaft brüten, bevor ihr anfingt unsere Siedlungsflächen dicht zu pflanzen. Schliesslich habt ihr auch noch die grosse Fuchsbrücke über das Watt gebaut, große Asphaltflächen angelegt und seid in Scharen in die Dünen gewandert. Seitdem blieben uns Bodenbrütern überhaupt keine sicheren Plätze mehr für unsere Küken. Den Bau der hohen Felsformationen an der Westseite, deren Höhlen ihr ja auch bewohnt, haben wir dankbar als Friedensangebot von eurer Seite angenommen- endlich wieder sichere Brutplätze- aber offenbar war das ja wohl gar nicht so gemeint!?

Und dann sollten wir wohl auch noch verhungern? Erst nehmt ihr uns den ganzen Fisch weg, den wir uns früher so mühsam gefischt haben, dann legt ihr für uns große schöne Futterplätze in Munkmarsch an, wo wir uns in den 1960iger Jahren so wohl fühlten und uns über Jahrzehnte wunderbar vermehren konnten- und dann wird plötzlich die Futterkrippe mit den duften Delikatessen dicht gemacht! Wisst ihr eigentlich wieviele von uns deswegen im folgenden Winter verhungert sind?

Gottlob gibt es ja einige unter euch Vertikalwürstchen die uns wohlgesonnen sind und immer etwas anbieten. Erst kürzlich stand doch eine aus eurer Redaktion auf der Promenade und hat mir fünf Minuten Futter hingehalten. Weil sie so ausdauernd war, hab ich ihr schliesslich den Gefallen getan und ihr aus der Hand gefressen. Und schliesslich: ihr nennt eure „schönste Sache der Welt“ nach uns Vögeln- dann seid auch so fair und lasst uns unseren angestammten Lebensraum an Meer und Strand – wir waren hier schliesslich die Ersten!

Eure Möwe Jonathan kia, kia, kiaaaaauuuuaaa