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Overtourismus dient fast Niemandem- Sylt am Scheideweg- Politik muss endlich handeln!

Wer derzeit am Morgen durch Westerland geht, trifft auf lange Schlangen von Wartenden vor allen Bäckereien. Über 40 Personen in einer Reihe sind keine Seltenheit beim Brötchenkauf. Wer an bedeckten oder gar regnerischen Tagen mit Bus oder Auto unterwegs ist, kann ewig im Stau stehen, nicht nur in der City, sondern auch auf den Ausfallstrassen nach Osten und Norden. An vielen Stränden herrscht fast schon mallorquinischer Dichtestress, am Abend einen Restauranttisch zu ergattern ist ohne Vorbestellung höchst unwahrscheinlich- Kann Urlaub so noch Spass machen?

Morgens in Westerland zur Hauptsaison vor allen verfügbaren Bäckereien: 30-60 Minuten für Brötchen Schlange stehen ist nicht selten

Das Phänomen wird neuerdings Overtourism genannt und ist ein gefragtes Medienthema im Sommerloch. Dabei sind die geschilderten Auswirkungen noch die harmloseren Effekte einer viel zu grossen Zahl von Menschen auf der Insel. Die Sylter Rundschau schätzte neulich 200 000 Personen auf Sylt. Eine genaue Statistik haben Verwaltungen und Politik bislang nicht erstellen können, insofern bleiben die Zahlen von Fremdenbetten und Tagestouristen heiss diskutierte Schätzungen.

Die Frage ist jedoch- wer profitiert wirklich von diesem „immer mehr“?

Das Sylt Image nimmt auf jedenfall Schaden. Viele Urlauber sind ob der Massen, deren Teil sie selbst sind arg genervt und beschliessen schon jetzt: Das war das letzte Mal Urlaub auf Sylt. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sie auf misslaunige Sylter treffen, denen alles zuviel wird.

Die Gastronomie weiss nicht wo ihr der Kopf steht, wenn abends die hungrige Welle vom Strand in die Orte schwappt. Ebenso wie die Geschäftswelt leidet sie unter der Beschaffung von ausreichend qualifiziertem Personal. Am Ende der Saison werden wieder viele über ihre physischen und psychischen Grenzen gegangen sein. Viel Personal bedeutet hohe Kosten. Gesundschrumpfen könnte der bessere Weg sein, bei wahrscheinlich gleichem Nettogewinn.

Die Sylter Vermieter Die Bettenanzahl der Einheimischen ist wahrscheinlich relativ konstant. Deutlich mehr werden die Zahlen von Zweithäusern, Appartments und Hotelbetten, die durch Investoren geschaffen werden, die vom Festland kommen. Die Rendite landet also nicht in den Kassen der Sylter Vermieter. Die Sylter bekommen eigentlich immer mehr Konkurrenz im Vermietgewerbe durch Betriebe, die von Aussen die Insel übernehmen.

Die Sylter Natur- und Landschaft und die Sylter Kultur leidet unter dem Boom. Am wenigsten noch unter den Spaziergängern, den Zig-Tausend Hunden und ihren Kothaufen- und Tüten. Schlimmer ist der überbordende Autovekehr mit überwiegend SUV-grossen Fahrzeugen und der nicht mehr rückgängig zu machende Flächenverbrauch für Parkplätze, Strassen, Neubauten und ganze Neubaugebiete. Inzwischen sind die wichtigsten Sylter Kulturstätten dadurch unmittelbar bdroht: Der Denghoog in Wenningstedt, die Tinnumburg bei Westerland, der Kampener Leuchtturm mit den grossen Hünengräbern.

Die Sylter Orte verlieren an Authentizität und Dorfgemeinschaft. Sie bluten zunehmend aus. Zu astronomisch hoch sind die Immobilienpreise und damit auch die Mieten. Normalverdienern ist es unmöglich, eine eigene Wohnung oder ein Eigenheim zu erwerben. Erben müssen gleich verkaufen, oder hohe Darlehen aufnehmen, um die Erbschaftssteuer zahlen zu können, wenn sie nicht verkaufen. Feuerwehren klagen über Nachwuchssorgen, Kleine Läden und Bäckereien verschwinden ebenso wie Kindergärten und ganze Nachbarschaften aus den ehemals intakten Dörfern.

Die Sylter Baufirmen? Es gibt nur noch wenige- die meisten Handwekrsbetriebe kommen von „Drüben“ und tragen das Geld weg von der Insel.

Die 200 „sylter“ Makler, die Notare, die Banken, die Land-und Hausbesitzerbesitzer, die verkaufen- ja, sie werden profitieren.

Ein Ende ist nicht abzusehen. Krisen, Krankheit und wirtschaftliche Unsicherheit steigern die Zahl der Inlandsurlauber weiter. Wenn Sylt noch den letzten Rest seines guten Rufes bewahren will muss endlich seitens der Politik gehandelt werden. Es reicht!

Lothar Koch

Die Polizei sichert die Einwohnerversammlung zum Bauprojekt Windrose in Wenningstedt vor interessierten Bürgern aus anderen Sylter Orten.

Wenningstedt, 31.7.2020 In Wenningstedt fand heute nachmittag eine Einwohnerversammlung zum umstrittenen Bauprojekt Hotel Windrose statt. Zugelassen waren nur Wenningstedter. Bürger aus anderen Sylter Orten wollten durch ihre Präsenz zeigen, dass die Steigerung der Fremdenbettenzahl kein örtliches, sondern ein insulares Problem darstellt. Das hatte sich im Vorfeld herumgesprochen. Offenbar informierte die Gemeinde das Ordnungsamt, die ein Bußgeldverfahren im Falle einer unangemeldeten Demo androhte und einen bewaffneten Polizisten sowie mehrere Ordnungshüter vor den Saal stellte. Dabei waren nur rund 20 Sylter gekommen, da viele bereits gehört hatten, dass sie nicht erwünscht seien. Dier Nerven liegen wegen der neuen BI Merret reicht´s offenbar schon blank, bevor die einen Finger gerührt hat. Kann so Bürgerbeteiligung, kann so Demokratie funktionieren?

Merret reicht´s- entsteht da eine neue Sylter Bürgerinitiative?

Das Logo der Sylter Bürgerbewegung

Natürlich sind es wieder die Sylter Frauen, die den notwendigen „Schuss“ abgeben und auf den zu reich gedeckten Sylter Stammtisch hauen. Das zeigt schon das Logo einer neu aufkeimenden Bürgerbewegung: eine Sylterin mit Namen Merret in Sölringer Tracht trägt eine Biike mit der Inselsilhouette und sagt lautstark: Mir reicht´s! In Persona hat die bekannte Sylterin Birte Wieda diesmal den Schuss mit einem Leserbrief ausgelöst, der vor kurzem in der Sylter Rundschau erschien.

Dass Merret nicht allein ist und auch Männer an ihrer Seite hat, zeigte sich gestern im Pastorat der evangelischen Kirche zu Keitum. Hier versammelten sich rund 50 Bürger und BürgerInnen, die gewillt sind STOP nicht nur zu sagen, sondern auch voll in die Bremse zu treten. Aber was soll gebremst werden?

Auf den Punkt gebracht: wohl das stetige Wachstum in Tourismus, Bauwut, Verkehr etc… dem die Insel in immer schnellerer Geschwindigkeit ausgesetzt ist. Der Corona-Shutdown hatte im Frühjahr zu einer Zwangsbremsung geführt, die Viele, so war gestern zu hören, unglaublich genossen haben. So hiess es in der Runde, man sehne sich nach mehr Langsamkeit, Stille, Ruhe , unberührte Natur und Landschaft. Die Vision: ein authentisches, weltoffenes, nachhaltig geführtes Sylt mit Dorf- & Inselcharakter und guter Lebensqualität für Einheimische. Viele waren der Meinung, dass ein „Gesundschrumpfen“ viel mehr bringen könne, als weiter mit der Wachstumsdevise um das goldene Kalb zu tanzen.

Einig waren sich die Sylter im Saal, dass man keine neue Partei, bilden wollen. Um Vernetzung untereinander und insular ging es und es waren aus allen fünf Inselgemeinden Teilnehmer vertreten. Es müsse jetzt eine Bewegung von Vielen entstehen, die den Insel-Verwaltungen und der Wirtschaft und Politik „von der Strasse aus“ Mut zum “ Neinsagen“ machen. Immer unter dem Motto: Wir sind für Lebensqualität, statt gegen alles. Vielmehr wollen die BürgerInnen der Politik durch direkte Demokratie helfen und Neu-Orientierung geben, „den Rücken stärken“ gegen den Investorendruck von Außen und für die Klimaherausforderung der Zukunft. Um jedoch effektiv zu sein, soll es nicht nur plakative Aktionen geben, sondern auch ausgelotet werden, was mit den Instrumenten der Bürgerbeteiligung, Bürgerbegehren und ähnlich rechtlich wirksamen Hebeln gemacht werden kann.

Zuversichtlich war die motivierte Runde, dass noch viel mehr SylterInnen die gute Gelegenheit und das Momentum für eine neues Kapitel der Inselgeschichte nach Corona wahrnehmen werden und mitmachen.
Wer etwas beitragen will, melde sich bitte bei Birte Wieda: Email merret-reichts@hotmailcom

Lothar Koch