Serie Naturschutz Folge 8: Nordseeschutz mit Kettenreaktion: 1988- Erinnerungen an einen umweltpolitisch „heissen“ sylter Sommer

1988 bildeten über 40 000 Menschen eine Menschenkette für Nordseeschutz auf Sylt (ganz links im Bild G.P. Werner einer der Organisatoren beim Bemühen 20111 eine erneute Menschenkette zum Thema Atomunfall Fukushima am Strand zu bilden.

1988 bildeten  40 -60 000 Menschen auf Sylt eine Protestkette für mehr Nordseeschutz  (ganz links im Bild G.P. Werner,  einer der damaligen Organisatoren von den Grünen (hier im Jahre 2011 anlässlich einer erneute Menschenkette zum Thema Atomunfall Fukushima.)

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen. In der sechsten Folge gibt der Diplombiologe Lothar Koch einen Überblick über den Nordseeschutz seit 1988.

1988- Wende für den Nordseeschutz

Der Sommer vor 30 Jahren war ein Wendepunkt für den Nordseeschutz. Seit über einem Jahrzehnt hatte sich bundesweit ein steigendes Umweltbewusstsein entwickelt. Nach Atom-, Fluss- und Waldsterben-Debatten brachten 1988 dramatische Vorfälle in der Nordsee das Meer in den Fokus des Interesses. Sie beeinflussten die Küstenpolitik fortan nachhaltig.

Was zuvor geschah…

1980 diagnostizierten Sachverständige einen desolaten Zustand der Nordsee. Wasserverseuchung und Fischverkrüppelungen wurden zum ersten Mal offiziell den giftigen Einträgen von Industrie und Landwirtschaft aus den Flüssen, sowie der direkten Giftverklappung und -verbrennung auf der Nordsee zugeschrieben. Auch die Vereinbarkeit von Naturschutz und  Tourismus stellte das Gutachten in Frage. Viele Küstengemeinden leiteten ihre Abwässer noch ohne biologische Klärstufe direkt ins Meer und deponierten ihren Müll im Überschwemmungsgebiet. Die Verklappung von Dünnsäure bei Helgoland wurde Dank Greenpeace zum öffentlichen TV-Spektakel.

Parallel dazu streiteten sich Schützer und Nutzer um die Eindeichung der Nordstrander Bucht und die Einrichtungen der Wattenmeer-Nationalparke. Das Thema „Umwelt“ belegte Platz 1 der gesellschaftlichen Hitliste. Im Herbst 1987 war die Betroffenheit hinsichtlich der Nordsee-Qualität so gross, dass der Nordseebäderverband-SH erstmalig in gemeinsamer Allianz mit Umweltverbänden „Aktion“ machte. Das Ausflugschiff „Pidder Ling“ wurde samt einer Delegation von Küstengemeinden als „Ein Schiff gegen den Wind“ zur internationalen Nordseeschutzkonferenz nach London geschickt. Die Schutzstation Wattenmeer sammelte in ihrem Netzwerk Strandmüll ausländischer Herkunft, verpackte ihn in Präsenskörbe und lieferte diese in der Aktion „Return to Sender“ direkt vor die Türen der Minister in London. Prinz Charles  sagte in seinem Grußwort : „Wir haben die Nordsee zur Kloake gemacht und der „Patient Nordsee“ könnte sterben, während wir hier auf die Diagnose warten“.

Schon im Frühjahr 1988 deutete alles darauf hin, dass Prince Charles richtig lag: Eine „Killer-Alge“ vermehrte sich explosiv im Kattegat und führte zu Millionenschäden bei Fischfarmen. Im Juli folgte der bis heute grösste Unfall einer Ölbohrinsel in der Nordsee: 167 Arbeiter auf der Plattform Piper Alpha liessen bei einer Explosion ihr Leben. Das warf einen Blick auf die desaströsen Umwelt- und Sicherheitsstandards bei dieser Nordsee-Industrie.

Doch nicht nur Menschenleben waren im Sommer 88 zu beklagen. Mit dem Einsetzen der Seehundwurfsaision begann das spektakulärste Robbensterben des Jahrhunderts. Täglich trieben Kadaver an die Küste. In einer Spitzen-Woche waren es über 500 tote Robben, die in der Sommerhitze am Strand vergammelten. Über 150 verschiedene toxische Substanzen wurden später in deren Organen gefunden. Tiermediziner bescheinigten dem Seehund-Bestand ein schlechtes Immunsystem, das gegen die grassierende Staupe nicht ankam. Am Ende waren es rund 20 000 Seehunde, die an der Nord-und Ostseeküste daran verendeten. Die Verarbeitung der Kadaver zu Tierfutter wurde wegen zu hoher Schadstoffgehalte im Fett amtlich untersagt. Sie wurden als Sondermüll entsorgt.

Tote Robben brachten das Fass zum Überlaufen

Auf dem Höhepunkt des Seehundssterbens, macht sich der Frust auf den Inseln Luft.

Seehunde starben 1988 "wie die Fliegen" an der Küste

Seehunde starben 1988 „wie die Fliegen“ an der Küste

Die Nordseebäder fürchteten ernsthaft um ihren Ruf. Mitten in der Hauptsaison schafften Sylter Umweltschützer es, die Kurbetriebe und Gemeinden für eine Idee zu begeistern: Eine Menschenkette sollte Zeichen für eine „saubere Nordsee“ setzen. Tatsächlich gelang es am 24.7.1988, für eine  Aktionskette zwischen List und Hörnum genug Menschen zu aktivieren.: Bis zu 60 000 Menschen Hand in Hand am Strand waren ein starkes Protestsignal, dessen Bilder, ebenso wie die von sterbenden Robben, in die deutschen Fernsehhaushalte drangen.

Danach nahm auf der Insel der Umweltschutz richtig Fahrt auf. Der SPIEGEL berichtet am 1.8.88:
Der Kampener Bürgermeister gelobte, für die Rettung der Nordsee werde er in Bonn notfalls „Türen eintreten“. „Das ist der Beginn einer großen Kampagne“, sagt Naturschützerin Klara Enss, stellvertretende Bürgermeisterin von Wenningstedt, pathetisch. Pastor Christoph Bornemann verkündete beim Protestgottesdienst: „Heute wollen wir mit dem Verdrängen aufhören.“

Harte systematische Lobby-Arbeit für die Nordsee folgte

In den Jahren danach wich die Euphorie für Nordseeschutz harter Detailarbeit seitens der Umweltverbände und -behörden- sowohl auf der Insel, als auch in den internationalen politischen Gremien. Stück für Stück wurden Abkommen realisiert, wie zum Beispiel gegen die Verklappung von Öl- und Giftstoffen, sowie Festmüll in die Nordsee. Küstenweit wurden Kläranlagen mit biologischen Stufen nachgerüstet. Meeresdüngende Phosphate verschwanden aus Waschmitteln, das bleifreie Benzin wurde eingeführt, Umweltstandards und Verträglichkeitsnormen entwickelt und die Flüsse wieder so sauber, dass man heute darin baden kann und sogar Fische findet. Den  Sylter Umweltverbänden (Naturschutzgemeinschaft Sylt, Schutzstation Wattenmeer, BUND) ging es darum, das steigende Umweltbewusstsein unmittelbar für die Insel zu nutzen und ein Gegengewicht zum ungebremsten Wirtschaftswachstum zu bilden, das mit Bebauung, Versiegelung, Naturverschandelung, Luftverpestung, Energieverschwendung und Vermüllung daherkommt.

Infostand in der Friedrichstrasse um 1993

Infostand der Schutzstation Wattenmeer in der Friedrichstrasse um 1993

Es galt, die Betroffenheit der Sylter Unternehmer und Touristiker zu nutzen, um etwas Substantielles für den Umweltschutz auf und um die Insel zu erreichen. Leider gingen die meisten Sylter Institutionen wenige Jahre nach dem Pressewirbel, den die sterbenden Seehunde verursacht hatten, wieder zur Tagesordnung über. Immerhin wurde ein mobiler Geschirrspüler für Gross-Veranstaltungen angeschafft, um Plastikmüll zu sparen, sowie ein jährlicher Umwelttag und ein Umweltpreis ausgelobt. Diese, ohnehin eher symbolischen Aktivitäten, sind längst Geschichte. Sie finden heute ihre Fortsetzung in punktuellen umweltfreundlichen Marketingaktionen die zum Gesamt-Portfolio eines modernen Tourismusservice wohl ebenso gehören, wie Aktivitäten, die mit Umweltschutz kaum vereinbar sind:  Motorrad- und Diesel- Trecker-Korsos, Grossveranstaltungen mit/für Autoherstellern und Anwerbung von immer mehr Menschen und Fluggesellschaften.

Gemeinsame Folgekampagne mit Nordseebäderverband und Co

Bis Ende der 1990iger Jahre etwa, war der Nordseeschutz-Geist von 1988 aber in vielen Amts-und Experten-Gremien noch deutlich spürbar. So gab es 1994 eine zweite gemeinsame Kampagne von Nordseebäderverband und Naturschutz vor den Türen der internationalen Nordseekonferenz in Esbjerg, das Motto: „Unsere Nordsee lasst sie leben“-Alle zogen an einem Strang und überreichten den Ministern Tausende von „Roten Karten“, um konkrete Ergebnisse anzumahnen.

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Gemeinsame Aktion „Rote Karte“ von Tourismus, Gemeinden und Umweltverbänden vor der INK in Esbjerg

 

Im Nordseeschutz vereint: von links: Silke Petersen (Nordseebäderverein), Landrat Bastian, Holger Westmüller( WWF), Lothar Koch /Schutzstation) Bürgermeister Föhr, Hans v. Wechseln (Schutzgemeinschaft dt. Nordseeküste).

Im Nordseeschutz vereint: von links: Silke Petersen (Nordseebäderverband),  Olaf Bastian (Landrat Nordfriesalnds) , Stefan Aust ( WWF), Lothar Koch (Schutzstation), Heinz Georg Roth (Bürgermeister Wyk auf Föhr), Hans v. Wecheln (Schutzgemeinschaft dt. Nordseeküste).

Was hat das Engagement gebracht?

Und heute? Ja-die Arbeit für den Nordseeschutz  hat sich gelohnt! In 1999 wurde das Nationalparkgesetz novelliert und damit ein grosser Teil des Sylter Hausmeeres zum ersten europäische Walschutzgebiet ausgewiesen- das hält die Offshore Industrie auf Abstand. Im Jahr 2009 folgte die Widmung als Weltbnaturerbe. Erst im vergangenen Jahr entstand das Meeresschutzgebiet Sylter Aussen-Riff jenseits der 12-Seemeilengrenze. Die Nordseequalität hat sich sowohl als Badegewässer, wie auch als Ökosystem hinsichtlich der Nähr- und Schadstoffbelastung deutlich verbessert (wenn auch ein optimaler Zustand noch nicht erreicht ist). Verölte Strände sind im Vergleich zum letzten Jahrhundert deutlich seltener geworden. „Schwarze Flecken“ im Watt, Giftalgenpest und selbst exorbitante Schaumalgen-Berge am Strand kamen lange nicht mehr vor. Dafür sind Seegraswiesen ins Watt zurückgekehrt.  Beim Landschaftsschutz gelangen recht gute Fortschritte durch Besucherlenkungsmassnahmen und Widerstände gegen eine ausufernde Bebauung. Auch das eine Leistung der vielen hartnäckigen Naturschützer, die dem Image der Insel heute zu Gute kommt.

Auf dieser grundlegenden Leistung von Umweltverbänden, Umweltpolitik und -behörden der vergangenen dreissig Jahre spielt sich der heute immer mehr boomende Nordseetourismus ab.

Andere Probleme rückten im neuen Jahrhundert in den Vordergrund: Überfischung, Einwanderung fremder Arten, Offshore-Industrieausbau, Mikroplastik, Unterwasserlärm und Klimawandel. Themen, die  für den Fremdenverkehr kaum relevant sind, weil sie von Gästen nicht störend wahrgenommen werden.
Eine Umweltbewegung im Sinne der 80iger Jahre gibt es für die Nordsee daher nicht mehr- weder auf Sylt noch küstenweit. Protestpotential wird heute im Internet ausgelebt: Menschenketten sind out, Protestklicks am PC sind in- auch wenn sie in der Wirkung vermutlich nicht so eine Durchschlagskraft wie echte Aktionen auf der Strasse haben.

 

Menschenketten funktionieren noch bei echter unmittelbarer Betroffenheit. Hier Sylter Menschenkette nach Atomunfall in Fukushima, 2011

Menschenketten funktionieren wohl nur bei echter, unmittelbarer Betroffenheit. Hier Sylter Menschenkette nach Atomunfall in Fukushima, 2011

Ein Ziel, das schon 1988 formuliert wurde, Sylt frei von Plastiktüten zu bekommen, ist bis heute nicht erreicht worden. Auch alle Versuche, den Autoverkehr auf der Insel zu reduzieren sind am Widerstand oder mangelnder Entschlusskraft Sylter Entscheidungsträger und Unternehmer gescheitert.

Die Zahl der Gäste hat sich seit 1988 mehr als verdoppelt (1988 berichtet der SPIEGEL von 400 000 Gästen, heute sind es ca. 900 000 bei 7 Millionen Übernachtungen). Das „Rad des Umsatzes“ dreht immer schneller. Dank einer zweiten Autozugfirma werden immer mehr Fahrzeuge auf die Insel transportiert. Sanfte Mobilitätsangebote sind rar. Der Flugverkehr mit grossen Düsenmaschinen nach Sylt ist enorm gewachsen. Hinsichtlich des Klimaschutzes stellt ein  Gutachten der Insel schlechten Noten aus und der Ausverkauf der Inseldörfer schreitet voran.

Werbung des Nordseebäderverbandes SH

Werbung der Nordsee Tourismus Service GmbH SH (Nachfolgeorganisation des Nordseebäderverbandes SH)

Fazit

Der Wille, Natur, Umwelt und Originalität der Insel nachhaltig zu bewahren und sich dafür zu engagieren, ist auf  Sylt bei vielen Entscheidungen und Trends nicht wirklich  überzeugend erkennbar. Gutachten gibt es einige, doch die werden nicht effektiv umgesetzt.

Letztendlich liegt das wohl an der ausschliesslichen Fixierung auf das „lineare Prinzip“, wie es Michael Müller, Staatssekretär a.D., kürzlich bei einer sylter Veranstaltung zum Klimawandel ausdrückte: „Solange gesellschaftlich das Wachstumprizip Maßstab aller Dinge bleibt, wird es keinen Klimawandel geben“, sagte der Vorsitzende der Naturfreunde e.V..
Solange Gemeinden von ihren Tourismuseinrichtungen verlangen, den Erfolg nur über jährlich steigende wirtschaftliche Wachstumszahlen zu messen, wird sich in Sachen nachhaltigem Umwelt-, Natur- und Inselschutz (die historischen Stätten eingeschlossen) nicht viel ändern. Dabei wissen die Weisen zwischen Bhutan, Norwegen und Dänemark (Länder mit höchstem „Glücksindex“) doch längst, dass zum echten Lebens- und Urlaubs- Glück gerade das Unbezahlbare eines Wohlfühlortes gehört: schöne Landschaft, intakte Natur & Umwelt, Gesundheit, Authentizität, Freundlichkeit und Geborgenheit. Sylter Strategiekreise und Gemeinden wären gut beraten, diesen „Glücks-Zielen“ höchste Priorität in ihren praktischen Planungen zu geben.

Lothar Koch für die
Naturschutzgemeinschaft Sylt, Schutzstation Wattenmeer und Sölring Foriining

16.08.2018 Lesung mit Edda Raspé im Schöpfwerk aus der Biografie einer Sylter Umweltaktivistin

„Natur trifft Kultur 2018“ – Veranstaltungsreihe im Alten Schöpfwerk Keitum

Klara Enns BuchIn der Naturschutzstation im Alten Keitumer Schöpfwerk liest Edda Raspé von der Naturschutzgemeinschaft Sylt e.V. am 16. August um 20:15 Uhr aus der Biografie der Sylter Umweltaktivistin Klara Enss.

Ness war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, deren Leben eng mit der neueren Sylter Geschichte verwoben ist. Als feinsinnige Beobachterin und Chronistin der Veränderungen, die die Insel im 20. Jahrhunderts erfuhr, gibt ihre Biografie eine besondere Innenansicht über die Umweltgeschichte in dieser Zeit. Alles was sie auf politischer Ebene tat, stand im Kontext der Insel, deren Entwicklung und Veränderung sie mitgestalten wollte.

Edda Raspé wird die faszinierende Frau vorstellen und über aktuelle Möglichkeiten des Engagements für die Natur und Umwelt der Insel sprechen.

Es werden heiße und kalte Getränke serviert und eine Spende von zwölf Euro erbeten. Der Erlös kommt zu 100 Prozent der Schutzstation Wattenmeer zugute.

Am besten kann man per Rad hinkommen, gleich am Nössedeich gelegen.

Schöpfwerk Keitum
Koogstraße
25980 Keitum
Tel.: 0151-54865217

Gäste wollen Meer-Naturschutz am Urlaubsort Küste

Foto:Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer

Foto:Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer

Naturschutz ist gefragt bei Nationalpark-Urlaubern: 90 Prozent der Feriengäste im und am deutschen Teil des Weltnaturerbes Wattenmeer wollen vor Ort eine intakte Natur erleben, 93 Prozent ist es „wichtig oder sehr wichtig“, dass die Natur an ihrem Zielort geschützt wird. Diese und viele weitere Informationen gehen aus der zweiten Gästebefragung „Weltnaturerbe und nachhaltiger Tourismus“ hervor, die die Nationalparkverwaltungen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen beim Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa GmbH (NIT) in Auftrag gegeben haben. Ziel war es zu analysieren, inwieweit die gemeinsamen Anstrengungen für attraktive Naturerlebnisangebote und Information über den Nationalpark und das Weltnaturerbe Wattenmeer sich in Zahlen und darüber hinaus in hoher Zufriedenheit bei den Übernachtungsgästen widerspiegeln.

Und das tun sie – wobei die Ergebnisse in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sich nur minimal unterscheiden. So ist in beiden Wattenmeer-Nationalparks das Interesse an Naturerlebnisangeboten von Ausflugsfahrten bis zu Wattexkursionen groß: In beiden Bundesländern nahmen jeweils 47 Prozent der im vergangenen Jahr befragten Urlauber an einer geführten Wattwanderung teil. Die Gesamtzahl der Besucher in den über 50 Nationalpark-Informationseinrichtungen lag bei gut 1,6 Millionen. Der Welterbestatus ist 96 Prozent der befragten Nordseegäste bekannt, für rund ein Drittel ist diese Auszeichnung wichtig oder sehr wichtig für ihre Reiseentscheidung.

„Für uns ist es relevant zu überprüfen, ob wir mit unseren Angeboten die Menschen, die den Nationalpark und das Weltnaturerbe Wattenmeer besuchen, auch wirklich erreichen“, erläutert Christiane Gätje, in der schleswig-holsteinischen Nationalparkverwaltung zuständig für den Bereich nachhaltiger Tourismus. „Die Ergebnisse lassen erkennen, dass dem weitgehend so ist“, ergänzt Jürn Bunje, der die Studie seitens der niedersächsischen Nationalparkverwaltung fachlich begleitet, und: „Aufschlussreich für unsere Besucherlenkung ist, dass die Gäste vor allem klassische Informationsmedien wie die Nationalpark-Infotafeln nutzen“. Christiane Gätje resümiert: „Wir freuen uns über tolle und sensible Urlauber, die Wert auf Nachhaltigkeit legen und die Schönheiten der Natur sowie den Naturschutz in unseren Nationalparks zu schätzen wissen.“

Die Zahlen und Daten wurden im vergangenen Jahr erhoben, zum zweiten Mal nach 2013. Sie sind nach Überzeugung der Initiatoren nicht nur für die Nationalparkverwaltungen relevant, sondern liefern auch Touristikern und den Küstenkommunen wertvolle Hinweise über Urlauberwünsche und –ansprüche rund um das Thema Natur und Nachhaltigkeit.

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Gästebefragung sind in einer Broschüre nachzulesen, die hier: https://www.nationalpark-wattenmeer.de/sh/service/publikationen/2-gastebefragung-weltnaturerbe-wattenmeer-und-nachhaltiger-tourismus-2017 zum Download bereitsteht. Die Nationalparkverwaltungen in Schleswig-Holstein (Telefon 04861-96200) und Niedersachsen (Telefon 04421-911271) versenden auf Anfrage auch die Druckversion.

Heike Wells, LKN.SH

Sylt und Felix Jaehn- zwei Marken laden sich auf

 

Jaehn-DJ-Festival vor Halle 28

Jaehn-DJ-Festival vor Halle 28

Auf Sylt fand laut Tourismusservice gerade das „Top-Event-Wochenende“ statt: Revolverheld und Felix Jaehn – zwei musikalisch angesagte Superstars der aktuellen Szene unmittelbar hintereinander auf der neuen Open Air Bühne an der Halle 28 auf dem alten Fliegerhorst. Sie folgten anderen Stars, wie Anastasia und Max Giesinger, die neben dem umfangreichen und kaum weniger hochrangigen Standardprogramm in den vergangenen 14 Tagen die Insel an anderen Orten  beglückten.

Mir war klar, dass ich zu Felix Jaehn musste: Erstens wollte ich wissen, wie es heutzutage funktioniert im zarten Alter von 24 Jahren zum Musik-Weltstar aufzusteigen, und zweitens interessierte mich die neue Event-Location am Airport, eben da, wo ursprünglich eine Renaturierung von Kriegsbetonflächen geplant war, die aber durch ein Bürgerbegehren für die Halle 28 gestoppt wurde.(s. Artikel in diesem Blog dazu).

Beide Erwartungen wurden erfüllt. Zunächst zu Felix Jaehn: Auf meinem 50-Euro Ticket stand “ Felix Jaehn-DJ-Festival“. Es tritt also keine Band mit Instrumenten auf, sondern lediglich ein DJ, der seinen speziellen Mix mit einer Light- und Konfetti-Show abzieht. Das Konzept lockte an diesem wundervollen Sylt-Wetter-Abend einige Tausend Besucher- für Felix Jaehn und seinen Veranstalter sicher dennoch recht wenig- der junge Weltstar ist grössere Massen gewohnt. Aber sicher ging es um mehr als unmittelbar Kasse zu machen- es ging um das gegenseitige Aufladen von Trademarken®- Felix Jaehn lädt Sylt® auf und Sylt  lädt Felix Jaehn® auf, -soweit der Plan, der von Tourismusdirektor  Peter Douven, zumindest was die insulare Seite angeht, so kommentiert wurde. Jaehn tat sich schwer damit, das Sylter Publikum aufzuladen.  Der Altersschnitt war sehr gemischt- positiv ausgedrückt hätte es ein Fest der Generationen in lauer Sylter Sommernacht werden können-wurde es aber nicht. Jaehn gelang es trotz bester Wetterbedingungen nicht, magische Momente zu erzeugen. Am Ende blieb ihm nur ganz platt übrig, das Publikum direkt verbal anzuleiten und zu steuern, sodass zumindest die Fotos, die es über diesen Event in Zeitungen und social Medias geben wird, tolle Momente und gute Stimmung suggerieren:. Jaehn: „Jetzt mal alle die Arme mit den Handy-Leuchten hoch und so laut schreien wie ihr könnt!“ gesagt, dreht er den Rücken zum Publikum und macht ein Selfie mit der „Crowd“. Das reicht um eine Marke aufzuladen. Es bleibt jedoch ein Rätsel, weshalb man für diese PR des Publikums zugunsten eines Entertainers Eintritt zahlen muss.

es hätte ein schöner Festival Abend werden können-z.B. mit einer guten Rockband...

es hätte ein schöner Festival Abend werden können-z.B. mit einer guten Rockband…

 

Im Moment als Felix Jaehn die Bühne betrat startete hinter dem Publikum gerade eine Lufthansa-Maschine. Zum Konzerthöhepunkt hob eine  Suisse-Air ab, und zum Schluss, als nach 1,5 Stunden Felix Jaehn alle gingen donnerte nochmal eine weitere grosse Düsenmaschine über den Platz- das ist Sylt 2018!

Der Festivalplatz an der Halle 28 ist für solche Events sicher geeignet- als Sylter ist es toll, Konzerte ohne grosse Anreise vor die Haustür zu bekommen. Bedenkt man jedoch den Preis, den der Bürger letztendlich über die Ausgaben der Gemeinde für den Platz samt Halle 28  zahlt, um zwei, drei Grosskonzerte im Jahr herzuholen, kommt man ins Grübeln. Und: Braucht Sylt solche Events wirklich? Ist das die Marke Sylt, die wir aufladen wollen? Hiess es seitens der Touristik nicht, wir seien in der Hauptsaison schon ausreichend ausgelastet und wollen nur noch für die Nebensaison ziehen? Und Tagesgäste, die für solche Konzerte rüberkommen brauchen wir schon gar nicht, oder? (Der eigens engagierte Einheizer rief vor dem Top-Act das Publikum dazu auf, die Petition der SMG für eine zweigleisige Bahnstrecke ab Niebüll zu unterschreiben, denn „ohne Euch (Tagesgäste vom Festland) können wir so etwas nicht wieder machen“.)

 

Lothar Koch

 

 

Naturschutz auf Sylt, Folge 7: Das NSG Sylter Außenriff

Zeichnung Martin Camm

Zeichnung Martin Camm

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen. In der sechsten Folge gibt der Diplombiologe Fabian Ritter einen Überblick über den Stand der Dinge beim kürzlich neu eingerichteten NSG Sylter Aussenriff.

Wichtiger Lebensraum & Naturschutzgebiet westlich des Nationalparks SH-Wattenmeer mit dem Walschutzgebiet

von Dipl. Biol. Fabian Ritter, Whale and Dolphin Conservation (WDC)

 

Landseitig ist Sylt vom Nationalpark Wattenmeer begrenzt, der recht strengen Schutz genießt. Seeseitig blicken wir vom Weststrand ebenfalls auf einen Teil des Nationalparks. Dort erstreckt sich auch Deutschlands erstes – und bisher einziges – Walschutzgebiet entlang der gesamten Insel und südlich bis Amrum. Für die heimischen Schweinswale ist es eines der wichtigsten Aufzuchtsgebiete, hier bringen sie jedes Jahr ihre Jungen zu Welt. Weniger bekannt ist jedoch, dass auch die Gewässer außerhalb der 12-Meilen-Zone (und damit in der deutschen „Ausschließlichen Wirtschaftszone“, AWZ) unter Schutz stehen. Das größte deutsche Meeresschutzgebiet der Nordsee „Sylter Außenriff“ schließt sich direkt an das küstennahe Schweinswalschutzgebiet an.

Walschutzgebiet

Befliegungskarte Schweinswale monitoring Sylter Aussenriff 2014-Karte

Ende 2017 wurde das Sylter Außenriff als Naturschutzgebiet gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ausgewiesen. Damit wurde endlich vollzogen, was seit über einem Jahrzehnt in der Entstehung, jedoch immer wieder erheblich verzögert worden war. Denn auf dem Papier besteht das Schutzgebiet schon seit 2007 – es ist Teil eines Schutzgebietsnetzwerkes „Natura2000“ unter der 2004 in Kraft getretenen Flora-Fauna-Habitat (FFH-) Richtlinie der EU in Kraft. Die EU-Mitgliedsstaaten verpflichteten sich, den Schutz der Lebensräume und Arten in den Natura2000-Gebieten zu gewährleisen und binnen sechs Jahren in nationales Recht umzuwandeln. Doch damit begannen auch die Schwierigkeiten.

Das Sylter Außenriff ist in der Tat ein besonderes Gebiet. Großräumig gibt es hier Steinriffe, die eine Vielzahl von bodennah lebenden Arten beherbergen. Zwischen den Riffen liegen wichtige Habitate für zahlreiche Organismen. Die Amrumbank ist als große Sandbank ein wichtiger Lebensraum für Fische. Die Vielgestaltigkeit dieses Mosaiks führt zu einem Fischreichtum, der wiederum Meeressäuger anzieht. Deshalb konzentrieren sich Schweinswale hier, aber auch Seehunde und Kegelrobben finden gute Bedingungen. Außerdem ist das Sylter Außenriff Nahrungs-, Überwinterungs-, Mauser-, Durchzugs- oder Rastgebiet für diverse Seevogelarten, darunter Seetaucher, Tordalken, Basstölpel, Trottellumme und Dreizehenmöwe.

All diese Charakteristika wurden ins Feld geführt, als es um die Ausweisung des Schutzgebietes ging. Und zu verbessern gibt es in der Tat einiges, denn obwohl es sich um einen Lebensraum von hohem Stellenwert für viele, seltene und bedrohte Arten handelt, ist sein Zustand alles andere als natürlich. Denn überall im Schutzgebiet wird kommerziell gefischt. Die grundberührende Fischerei ist im Sylter Außenriff praktisch flächendeckend verbreitet. Die schweren Geräte der Krabbenkutter hinterlassen mit jedem Fischzug deutliche Spuren der Zerstörung auf dem Meeresboden. Stellnetze tun ihr übriges, in ihnen verfangen sich bekanntermaßen besonders viele Meeressäuger und Seevögel. Zusätzlich trifft man Freizeit- und Stellnetzfischer landwärts, während große Trawler ihre Schleppnetze weiter draußen auf hoher See ausbringen. Wenngleich die Fischerei den größten negativen Effekt auf das Ökosystem hat, ist sie bei weitem nicht die einzige menschliche Nutzung. Die Schifffahrt, der Bau von Windparks, die Suche nach Öl- und Gas und massive militärische Übungen finden im Umfeld sowie innerhalb des Schutzgebietes statt. Unrühmliches Beispiel war zuletzt der Bau des Windparks „Butendiek“, der trotz massiver Störungen von Vögeln und Meeressäugern bis 2015 mitten ins Schutzgebiet gebaut wurde. An Tagen mit guter Sicht kann man die Windräder vom Sylter Weststrand aus in der Ferne sehen. 2015 hat der Windpark seinen Betrieb aufgenommen, und seit mehr als drei Jahren läuft auch eine Klage von Naturschützern gegen die Betriebserlaubnis der 80 Windenergieanlagen.

Aber wie kann es sein, dass all diese Aktivitäten innerhalb eines Naturschutzgebietes stattfinden? An Land würde niemand auf die Idee kommen, Straßen oder Großanlagen in ein Naturschutzgebiet zu bauen, militärische Übungen oder die massenhafte Entnahme von Organismen zu genehmigen. Ein Grund für den mangelnden Schutz im Sylter Außenriff war lange das Fehlen eines Managementplans, der fest legt was im Schutzgebiet erlaubt ist und was nicht. Für das Sylter Außenriff wurde jedoch erst Ende 2017 vom Bundesumweltministerium der Entwurf eines Managementplans vorgestellt. Vorangegangen war eine schier unendlich politische Auseinandersetzung, bei der sich verschiedene Bundesministerien gegenseitig blockierten. Dass auch in Zukunft wirtschaftliche Interessen an vielen Stellen über den Naturschutz gestellt werden, ist den Managementplan-Entwürfen bereits anzusehen. Kaum eine Aktivität soll im Sylter Außenriff per se verboten werden. Windparks, ja sogar der Abbau von Rohstoffen können nach einer Umweltverträglichkeits-prüfung weiterhin genehmigt werden. Hier wird im Vergleich mit Naturschutzgebieten an Land mit unterschiedlichem Maß gemessen.

Thema Schifffahrt: Der viele Verkehr in der Nordsee kreuzt mitten durch das Schutzgebiet, und bringt damit die Gefahr von Müllverschmutzung, Kollisionen mit Meeressäugern und Unterwasserlärm. Insbesondere Schweinswale reagieren sehr empfindlich auf den Lärm, und erst vor kurzem wurde nachgewiesen, dass Schweinswale aufgrund von Schiffslärm weniger effektiv jagen können. Andere Folgen des Lärms sind Stress, Vertreibung und mögliche Effekte auf Populationsebene. Zu bedenken ist stets auch, dass alle Einflüsse kumulativ auf die Meeresorganismen einwirken und synergistische Effekte entstehen können, welche den Gesamtdruck zusätzlich verstärken.

Thema militärische Übungen: Die Bundeswehr darf im Sylter Außenriff heute praktisch alles tun und lassen was sie für notwendig erachtet, auch wenn dadurch die Natur – buchstäblich – unter Beschuss gerät. Manöver, Schießübungen, Tiefflüge, Sonareinsatz, usw. werden auch zukünftig erlaubt bleiben – inmitten der Schutzgebiete und ohne Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Totschlagsargumente „innere Sicherheit“ und „Terrorabwehr“ sorgen dafür, dass es hier bis auf Weiteres keine Einschränkungen geben wird. Immerhin hat die Marine mittlerweile Dialogbereitschaft signalisiert, zukünftig mehr auf Naturschutzaspekte zu achten. Ob das zu wirksamen Veränderungen führen wird, darf jedoch bezweifelt werden.

Thema Fischerei: Da Deutschland aufgrund von EU-Beschlüssen die Aktivitäten der Fischer in der AWZ nicht selbstständig beschränken darf, müssen alle Vorschläge zur Regulierung bestimmter Fangmethoden oder zeitlich-räumliche Begrenzungen mit den EU-Nachbarstaaten abgesprochen werden. So werden bis heute Deutschlands Vorschläge im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik verhandelt. Nun hat die Fischerei in Deutschland eine starke Lobby, die im zuständigen Landwirtschaftsministerium stets auf offene Ohren stößt. Das Ergebnis der Verhandlungen wird aus Sicht des Naturschutzes enttäuschend sein, denn weder wird Fischerei flächendeckend verboten (was für ein Naturschutzgebiet ja durchaus adäquat wäre), noch werden umweltzerstörerische Fangmethoden abgeschafft. Im Gegenteil: je länger die Verhandlungen dauern, desto mehr werden die ursprünglichen Maßnahmen verwässert. Leidtragende sind Schweinswale, Seevögel und viele andere schützenswerte Arten. Leider hat die Bundesregierung hier ihre Chance verspielt, eine Vorreiterrolle im Meeresschutz innerhalb der EU einzunehmen.

Whale and Dolphin Conservation (WDC) setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass Meeresschutzgebiete in Deutschland ihren Namen verdienen. In Kooperation mit anderen Umweltschutzorganisation – darunter auch die Schutzstation Wattenmeer – werden dazu Gespräche mit Entscheidungsträgern gesucht, Kampagnen zur öffentlichen Bildung ins Leben gerufen und fachliche Stellungnahmen verfasst. Ohne diese wichtige Arbeit hätte der Meeresschutz in Deutschland deutlich weniger Gewicht.

Bedauerlicherweise bestehen die Nordsee-Meeresschutzgebiete, inklusive dem Sylter Außenriff bisher also praktisch nur auf dem Papier. Ob wir Menschen unsere störenden Aktivitäten zukünftig fast unverändert fortführen werden, oder ob es zu echten Einschränkungen kommt, die der Natur dienen (sprich: ob die Schutzgebiete das Papier wert sind, auf dem sie stehen), daran wird sich die Meeresschutzpolitik in Deutschland trefflich messen lassen können.

Dipl.-Biol. Fabian Ritter, und Meeresschutzexperte bei WDC setzt sich zusammen mit seiner Organisation und dem Projekt „Walheimat“ { http://de.whales.org/themen-und-projekte/walheimat-sichere-schutzgebiete-jetzt } für den verbesserten Schutz der Schweinswale in deutschen Gewässern ein.

Sein neues Buch über Wale und Delphine bei den Kanarischen Inseln gibt es hier:Delfinbuch Titelhttp://clarityverlag.de/shop/edition-claritycollection/delfine-detail.html