Grüner Dampf über Sylt!

die Tinnumer Biike im Schnee Foto: L.Koch

die Tinnumer Biike im Schnee
Foto: L.Koch

In zwei Tagen ist BIIKE! Das traditionelle Fest der Sylter, Amrumer und Föhrer.

Das bedeutet für ganz viele Haushalte und Restaurants, noch heute den schweren Grünkohlkopf auf den Herd zu ziehen, und mit dem Köcheln zu beginnen. Grünkohl muss lange kochen- sehr lange! Zehn Stunden empfiehlt Spitzenköchin Anja Becker. Deswegen erheben sich ab heute Grünkohlschwaden über der Insel, um für den Abend nach dem Biike-Feuer gerüstet zu sein. Doch halt-nicht nur auf Sylt, sondern überall wo Sylter gerade auftauchen-viele sind im Urlaub in Marokko, auf Fuerte und Bali. Mancher von jenen zückt verstohlen am 21.2. eine Büchse Grünkohl aus dem Koffer, um in der Fremde dem Brauch zu frönen.

Die gebürtige Westerländerin Anja verrät uns heute ihr veganes sylter Grünkohlrezept:

Sylts heiliger Gral: der Grünkohltopf

Sylts heiliger Gral: der Grünkohltopf

500 g gewürfelte Zwiebeln mit 400 g gewürfeltem Räuchertofu in Pflanzenfett anbraten.1500 g kleingehäckselten Grünkohl dazu geben und mit einem halben Liter Gemüsebrühe köcheln lassen. Wer heute beginnt, schafft es durch immer wieder ausstellen und anstellen des Herdes bis zum 21.2. auf zehn Stunden Aufwärmzeit.1500 g kleingehäckselten Grünkohl dazu geben und mit einem halben Liter Gemüsebrühe köcheln lassen. Wer heute beginnt, schafft es durch immer wieder ausstellen und anstellen des Herdes bis zum 21.2. auf zehn Stunden Aufwärmzeit. Dazwischen immer wieder Gemüsebrühe nachgiessen.

Zum Schluss Salz, Pfeffer und Senf unterheben. Heiss mit Bratkartoffeln servieren. Köstlich besonders, wenn es draussen bei der Biike eisig kalt war.

Dazu die Geschichte der Biike. Biike leitet sich von Leuchtfeuer ab (wie engl: Beacon).

Ursprünglich um die Wintergeister zu vertreiben und Wotan zu huldigen. Dann am Vorabend des Petritages zur Dorf-Versammlung, wo Recht gesprochen wurde. Im 17. Jahrhundert tauchten um die Zeit auch die Hamburger und Holländer auf, um starke Burschen für den Walfang im Nordmeer zu rekrutieren. Es war also nicht, wie so oft erzählt,  das Abschiedsfeuer für die Walfänger. (Die waren ja nicht so blöd, mitten im Winter nach Spitzbergen zu segeln).

 

Die BIIKE ist heute UNESCO-Kulturerbe

 

Lothar Koch

 

 

Nationalparkthemenjahr 2018: „Muscheln und Schnecken“ , Folge 2

100.000 Muschelarten gibt es auf der ganzen Welt, nur 15 davon im Nationalpark Wattenmeer. Trotzdem spielen die Weichtiere mit der harten Schale eine zentrale Rolle in diesem Ökosystem. Ihre wöchentliche Filterleistung entspricht dem gesamten Wasservolumen des Wattenmeeres, sie sind also eine große biologische Kläranlage. Anlässlich des Themenjahres „Muscheln und Schnecken“ wird Biologe Rainer Borcherding monatlich über die Welt der Weichtiere im Nationalpark Wattenmeer berichten.

Zwiebelmuscheln

Zwiebelmuscheln

Tier des Monats Februar: Der Geruch der Zwiebelmuschel

Winterstürme spülen immer wieder große Müllteile an die Nordseeküste, die Monate oder Jahre auf dem Meer unterwegs gewesen sind. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf diese Objekte, wie z.B. eine große Plastikfischkiste zu werfen, die mit einer Vielzahl von Meerestieren bewachsen sein können. Neben Seepocken, Kalkröhrenwürmern und moosartigen Polypenstöcken kleben darauf mitunter flache weiße Kalkdeckelchen von einem bis zwei Zentimetern Durchmesser. Einige Tage nach der Strandung der Fischkiste heben sich die Deckelchen und riechen nach toter Muschel. Die Strandungsopfer sind Zwiebelmuscheln, eine Muschelart mit ungewöhnlicher Körperform. Ihre rechte Schale ist flach und schmiegt sich dem Untergrund an – einem Felsen, einem Krebspanzer oder eben einer Fischkiste. Falls sie in einer Herzmuschel sitzt, übernimmt die Zwiebelmuschel das Strahlenmuster des Untergrundes und wird selbst strahlenförmig gestreift. Die linke Schale ist leicht gewölbt und sitzt als schützender Deckel über dem Weichkörper. Als Befestigung dient der Muschel ein Kalkstab, der durch ein Loch in der unteren Schalenklappe am Untergrund festgeklebt ist. Keine andere Muschelfamilie auf der Welt hat ein Loch in der Schale, durch das sie sich am Wohnort festklebt. Der Name „Zwiebelmuschel“ kommt daher, dass die Muschel oft silbrig weiß ist und Ringe zeigt wie eine halbierte Zwiebel.

 

Da Zwiebelmuscheln nur auf Hartgrund leben, sind sie im Wattenmeer nicht heimisch. Die auf Treibgut angespülten Exemplare kommen aus Westeuropa, wo sie sich als Larven auf dem Meeresmüll angesiedelt haben, als dieser an Felsküsten vorbeidriftete. Es gibt drei verschiedene Arten von Zwiebelmuscheln in der Nordsee, von denen die Zierliche Zwiebelmuschel am häufigsten auf Fischkisten und Plastikmüll anzutreffen ist.

 

Rainer Borcherding, Schutzstation Wattenmeer

Naturschutz auf Sylt, Folge 3: Kliffe auf Sylt : die Grenzen zum Meer

Das Rote Kliff, Foto: L.Koch

Das Rote Kliff, Foto: L.Koch

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen.

In der dritten Folge gibt Dr. Ekkehart Klatt von der Sölring Foriining einen Überblick über die Insel-Kliffs.

Die unendliche Natur auf der Insel Sylt wartet mit vielen Schönheiten auf. Immer, wenn man sich einen Überblick verschaffen möchte, lohnt es sich, höher gelegene Orte aufzusuchen. Neben der 52 Meter hohen Uwe Düne in Kampen, oder der ebenfalls per Treppe zu besteigenden 34 Meter hohen Aussichtsdüne nördlich der Ortschaft List sind es die Kliffe an der West- und Ostküste, von denen der Ausblick bis weit in die Nordsee bzw. bis zu den Deichen auf dem dänischen und deutschen Festland reicht.

Das mit Abstand markanteste Kliff ist das vier Kilometer lange Rote Kliff. Da es fast 30 Meter hoch ist und sich vom Norden der Gemeinde Kampen bis nach Westerland erstreckt, war es für die Seefahrer über Jahrhunderte hinweg der wichtigste Orientierungspunkt, wenn sich ein Schiff der Insel vom offenen Meer her näherte. Außer den Nehrungshaken im Norden und Süden von Sylt ist es die einzige Steilküste, die durch das Anbranden von Meer und Wellen entstanden ist und im Gegensatz zu den Dünen auch noch lange nach den Sturmfluten allein durch ihre Höhe eine weithin sichtbare Orientierung bot. Genau wie wir es von der rein willkürlichen Farbgebung rot und grün bei den Positionslampen von Schiffen und Flugzeugen kennen, hat auch bei dem Namen „Rotes Kliff“ das Wort „rot“ nichts mit der wirklichen Farbe dieser Steilkante zu tun, sondern beschreibt bereits seit dem 16. Jahrhundert jedes markante Kliff, das von See aus optisch in Erscheinung tritt. Das Gegenteil wäre außerdem ein „Weißes Kliff“, wie wir es auf Sylt nördlich von Munkmarsch und unterhalb von Braderup auf der Wattseite vorfinden.

Den schönsten Ausblick vom Roten Kliff genießt der Naturfreund auf einem Spaziergang von Wenningstedt nach Kampen –oder natürlich auch umgekehrt- wenn man vom Strand kommend einen der Aufgänge benutzt und sogleich in nördlicher oder südlicher Richtung nur wenige Meter von der Kliffkante entfernt losläuft und den wunderschönen Fernblick über die sich immer unterschiedlich darstellende Nordsee genießt.

Ein dreifarbiges, aus Lehm und Sand bestehendes Kliff, das bereits bei der Anfahrt über den Hindenburgdamm kurz zu sehen ist, gehört möglicherweise zu den weniger bekannten Kliffen der Insel. Die Erd- und Frühgeschichtler haben es zu dem mit Abstand berühmtesten Kliff erklärt. Schmuckfunde aus der Wikingerzeit, gleich daneben das größte Gräberfeld aus dieser Epoche, äußerst seltene Fossilien von Muscheln und Schnecken sowie die offen ausgebreitete Erdgeschichte der vergangenen 10 Millionen Jahre sind nur einige der Highlights, die mit der Morsumer Heide und dem Kliff in Zusammenhang stehen.

Wer am Parkplatz Nösse in Morsum loswandert, erreicht kurz hinter dem Hotel „Landhaus Severin´s“ das fast 23 Meter hohe Morsum Kliff. Nach ausgiebigem Rundblick über die wasserbedeckten, jedoch bei Ebbe blauschwarzen und trocken gefallenen Watten, lohnt ein Spaziergang auf dem Kliff Richtung Osten, also Richtung Festland. Nach kurzem Weg steht der Betrachter im Zentrum des Bunten Kliffs: dunkle Tone sowie durch Eisenoxide braun gefärbte Sande sind Zeugen der Erdgeschichte, als der Raum „Sylt“ noch Teil einer frühen Ur-Nordsee war. Der helle Quarzsand, der auf Sylt auch als Kaolinsand bezeichnet wird, stammt im Gegensatz zu den marinen Sedimenten nicht von hier, sondern ist vor vier bis drei Millionen Jahren per Flussfracht aus Südfinnland und dem Baltikum hierhergekommen. Alle drei Formationen sind erst während der letzten Eiszeiten durch den enormen Druck der Gletscher zerbrochen, verfaltet und schräg geschichtet worden, so wie sie heute noch zu sehen sind.

Dass der tiefere Untergrund so spannend aussehen könnte, erahnte vor 10.000 Jahren bestimmt noch niemand. Der Meeresspiegel lag über 100 Meter niedriger als heute und somit war die Nordsee hunderte Kilometer von Sylt entfernt. Erst als am Ende der letzten Eiszeit die Temperatur urplötzlichstark anstieg, setzten ausgiebige Abschmelzprozesse der Gletscher ein und die ansteigende Nordsee näherte  sich Sylt. Dadurch konnte sich auch in Morsum durch das Anbranden des Wassers ein Kliff bilden. Am Morsum Kliff, einem der wenigen noch aktiven Kliffe der Insel, sieht man augenblicklich nur vor dem rotbraunen Sand eine steile Abbruchkante. Damit in Zukunft mal wieder eine durchgehende Kliffkante entstehen kann, bedarf es eines neuerlichen Orkans: entweder wie bei „Xaver“ (Dez. 2013) oder noch besser wie bei „Anatol“ (Dez. 1999), als sich nach 10 Meter Abbrüchen eine bis fünf Meter hohe und gänzlich neue Steilküste ausgebildet hatte.

Einen zusätzlichen Schutz für das Morsum Kliff, so wie es die Sandaufspülungen mit ihrem künstlichen Sand vor dem Roten Kliff in Kampen darstellen, wird von den Gremien der Insel nicht angestrebt. Da in der Nähe des Kliffs Menschen nicht direkt zu Schaden kommen können und zumindest momentan auch keine Sachwerte zu verteidigen sind, soll beim Morsum Kliff die Schönheit dieses von der Akademie der Geowissenschaften zum „Nationalen Geotop“ erklärten Steilufers ganz eindeutig im Vordergrund stehen.

Das Kapitänsdorf Keitum besitzt ebenfalls ein Kliff. An der Grenze zwischen der mit Steinen und Findlingen übersäten alteiszeitlichen Geest und dem Wattenmeer verläuft ein altes, vermutlich seit Jahrhunderten nicht mehr aktives Kliff, das zum Teil von Gras bewachsen ist und deshalb liebevoll das Grüne Kliff genannt wird. An seinem Fuß lag bis 1859 der bedeutendste Hafen von Sylt. Durch seine fortschreitende Verschlickung musste dieser Hafen schließlich aufgegeben werden. Nur das auf dem Kliff thronende weiße Packhaus des Hafenmeisters erinnert heute noch an die Bedeutung dieses Liegeortes für Frachtkähne und Segelboote.

Wenn wir heute feststellen, dass ja auch dies Kliff in längst vergangener Zeit einmal durch das Anbranden des Meeres entstanden sein muss, so kann das nur bedeuten, dass „damals“ entweder das Meer höher auflief, oder das niedriger gelegene Land sich gehoben haben müsste. Von einer rezenten Landhebung weiß man in Fachkreisen nichts. Damit steht fest, dass zu Zeiten der Kliffbildung in Keitum, genau wie bei der Kliffbildung nördlich von Kampen – jeweils auf der Wattseite-  deutlich höhere Wasserstände geherrscht haben müssen, als es heute der Fall ist.

Schnell wächst die Erkenntnis, dass Kliffe nur entstehen können, wenn gleichzeitig das feste Land angeknabbert wird und an Substanz verliert. Andererseits sind Kliffe herrliche Aussichtspunkte auf das neu entstehende Meer, bzw. das Watt. So liegt die Faszination natürlich auch sehr stark in dem Bewusstsein, dass jeder Punkt auf der Kliffkante nur eine Momentaufnahme darstellt, die über kurz oder lang ihren Weg in die Weiten der rauen Nordsee finden wird.

Dr. Ekkehard Klatt;    www.geotourssylt.de

 

Gemeinde Sylt verzockt sich bei Insel-Poker um Schrotthalle

Kommentar zur Berichterstattung der Sylter Rundschau von heute über die Halle 28 auf dem Fliegerhorst. (Vorige Naturreporter-Berichte unter den Schlagworten: Halle, Hallen, Lokalpolitik).

Wenn ein Unternehmer in Wenningstedt „meiert“ und dabei seine wirtschaftliche Grundlage verzockt, ist das sein persönliches Risiko. Wenn aber gewählte Volksvertreter mit dem Augenzwinkern der hauptamtlichen Gemeindeverwaltung Sylt bei

 

Warn-Anzeige aus dem Jahre 2016

Warn-Anzeige aus dem Jahre 2016. Die 400 000 Euro beziehen sich auf die BIMA Forderungen von 200 000 Euro pro Halle.“

Rechtsverträgen mit dem Bund „pokern“, also darauf spekulieren, dass sie mit ihrer Abstimmung „Wir zahlen einfach nicht“ durchkommen, ist das  unverantwortlich und ein Armutszeugnis der sylter Politik, das an das „Thermendesaster“ in Keitum erinnert.
Grüne, SPD , SSW und SWG hatten vor dem Bürgerentscheid klipp und klar auf die Kostenspirale hingewiesen, die bei einem Fortbestand der Hallen auf die Gemeinde zukäme. Auch auf die Forderungen der BIMA, die von vornherein glasklar im Raum standen. Nun verklagt der Bund die Gemeinde auf 200 000 Euro unbezahlte Vertragsleistungen für die Halle 28. Die addieren sich wohlmöglich zu den bereits gezahlten 500 000 Euro, die dringend für die Umsetzung des Verkehrsgutachtens oder soziale Töpfe gebraucht würden. Von weiteren Forderungen für die Hallen wird gemunkelt,  eine funktionsfähige Katastrophenschutzhalle ist jedoch auch zwei Jahre nach den Diskussionen nicht zu sehen. Und der Bürger soll jetzt „Mensch ärgere dich nicht spielen?“ 
 

Lothar Koch

Naturschutz auf Sylt, Folge 2: Klara Enss- Kritisch denken, 
politisch handeln

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen.

In der zweiten Folge geht es um Klara Enss – eine streitbare Sylter Naturschützerin, deren engagiertes Einstehen für den Sylter Naturschutz Spuren hinterlassen hat. Sie starb 2001 und liegt auf dem Wenningstedter Friedhof begraben. Das Naturschutzzentrum Braderup trägt heute ihren Namen. Die Autorin Anna-Katharina Wöbse hat neben diesem Artikel, gerade ihr Buch über Klara Enss veröffentlicht (zu Bestellen in der Naturschutzgemeinschaft Sylt, oder über jede Buchhandlung.

 

Am Abend des 26. Novembers 1971 steht eine schöne Dame mit Pelzkappe auf den

Das aktuelle Buch zum Leben von Clara Enss

Das aktuelle Buch zum Leben von Klara Enss

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Klara Enss am Megaphon auf der legendären Atlantis-Demo

Stufen des Westerländer Wellenbads, hebt den Kopf und spricht zum ersten Mal in ihrem Leben in ein Megaphon. Es ist zugig, kalt und dunkel. Über 1000 Menschen haben sich zu einer Demonstration versammelt – so etwas hat es auf Sylt noch nicht gegeben. Die Dame heißt Klara Enss. Sie hat ein Manuskript vorbereitet, aber das kann sie in der Dunkelheit nun nicht ablesen. Also spricht sie frei. Und was sie zu sagen hat, zielt geradewegs gegen das politische Establishment der Insel. Klara Enss protestiert. Gegen den entgrenzten Sylter Bauwahn, der sich in einem megalomanischen Hochhausprojekt unter dem vielsagenden Namen Atlantis gerade Bahn brechen soll. Gegen Investoren, die alte Häuser verschwinden lassen wollen, um an die Stelle klotzige Appartementblocks zu stellen. Gegen Insulaner, die ihre alten Häuser verkaufen. Gegen Politiker, die gemeinsame Sache machen mit Geldgebern und Planern und den „Ausverkauf der Insel“ vorantreiben. Gegen diejenigen also, die verantwortlich sind für Flächenfraß, Verkehrslawinen und Naturverbrauch. Die der Insel nehmen, was sie so besonders macht.

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jung und engagiert für Natur und Umweltschutz: Klara Enss

Der kalte Novemberabend ist der Beginn des öffentlichen politischen Lebens von Klara Enss. Eingebettet in ein dichtes Netz aus Mitstreiterinnen und Mistreitern wird sie in den nächsten Jahren zum Gesicht einer agilen Zivilgesellschaft und zur Stimme alternativer Inselvisionen. Ihr Aktionsradius weitet sich rasch. Sie gründet den BUND Schleswig-Holstein mit, sie steigt auf ungewöhnliche Art und Weise in die Anti-Atom-Bewegung ein, reist aufgrund ihrer Expertise als Beraterin zu Bundesministerien und arbeitet sich in den klassischen Arten- und Naturschutz ein. Sie engagiert sich in der Kommunalpolitik: Die Wenningstedter und Braderuper wählen sie zur stellvertretenden Bürgermeisterin. Mit der Sylter Naturschutzgemeinschaft baut sie ein lebendiges Naturzentrum auf, das heute ihren Namen trägt. Dann kämpft sie mit eindrucksvollen Kampagnen für den Schutz der Nordsee und zettelt bis ins hohe Alter als „Grande Dame des Naturschutzes“ immer wieder zivilgesellschaftlichen Widerstand an. Für ihr umweltpolitisches Handeln erhält sie diverse Auszeichnung, darunter 1984 das Bundesverdienstkreuz. Diese Klara Enss scheint auf den ersten Blick der Prototyp einer grünen Aktivistin. Sie ist eine der vielen Akteurinnen und Akteuren der jungen Öko-Bewegung, die die Bundesrepublik in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nachhaltig prägte und gestaltete.

Gleichzeitig ist Klara Enss ein eigener Planet. Ein Freund von ihr drückt das so aus: „Es gab verschiedene Klaras!“ Sie sagt einmal von sich: „Und ich selbst: ein Chamäleon…“ Mit Perlenkette und Seidentuch wirkt sie auf den ersten Blick sehr konventionell. Aber da ist Gartenerde unter ihren Nägeln. Die Gummistiefel sind nicht weit. Sie tippt konzentriert ein Gutachten, um danach in einer sonnigen Ecke hinter ihrem Haus eine Zigarette zu rauchen. Ihr Garten ist für sie sowohl kontemplativer Kosmos als auch Gemüseacker für die Selbstversorgung. Sie liebt alles Lebendige. Abends schaut sie einen Boxkampf, vielleicht ein Tennismatch im Fernsehen an. Oder hört ein Violinkonzert von Schubert. Unablässig beschäftigt sie sich mit Literatur, liest und zitiert Erich Kästner, Albert Schweitzer, Elisabeth Borchers, Amon Oz, Michel Foucault. Sie entschwindet nach Hamburg, um im Kino Western zu sehen. Sie liebt Kartoffeln mit Quark. Ab und zu können es auch Austern und Champagner sein. Sie lebt allein und ist ganz autonom, verankert in einem großen Freundeskreis. In ihren Tagebüchern tritt uns also eine vielgestaltige Persönlichkeit entgegen: eigensinnig, kultiviert, zornig und pragmatisch, wissensgierig, leidenschaftlich und selbstdiszipliniert. Sie ist eine in höchstem Maße selbstreflektierte Frau, die um ihre eigenen Widersprüchlichkeiten weiß. Klara Enss verschafft sich Gehör. Sie entpuppt sich als charismatische Führungsfigur und clevere politische Strategin: Wer Veränderung will, braucht Ausstrahlung, starke Gefühle und einen klaren Verstand. Menschen, die mit ihr zu tun hatten, berichten eindrücklich von ihrer Eleganz, Klarheit, Klugheit und Hartnäckigkeit. In einem Nachruf auf sie heißt es: „Es ging von ihr eine Faszination aus, die fast alle gefangen nahm.“ Eine Freundin beschreibt sie lächelnd als „gerissen und charmant“. Ihre Kontrahenten erinnern sich auch an die „Nervensäge“, an die notorische Besserwisserin und das personifizierte schlechte Gewissen.

Klara Enss war eine außergewöhnliche Sylter Persönlichkeit. Ihre Lebensgeschichte ist eng mit der Geschichte Sylts verwoben. Alles, was sie auf politischer Ebene tat, stand im Kontext der Insel, deren Entwicklung und Veränderung sie mitgestalten wollte. Und obwohl Klara Enss für Sylt so wichtig gewesen ist, scheint sie nun in Vergessenheit zu geraten. Das wäre ein Verlust. Denn zum einen war sie eine feinsinnige Beobachterin und Chronistin der Veränderungen, die die Insel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr. Zum anderen ermöglicht ihre Biografie, ein entscheidendes Kapitel jüngerer Umweltgeschichte aus einer ungewöhnlichen Innenansicht nachzuvollziehen. In ihrer umweltpolitischen Biografie sehen wir wie durch ein Brennglas die Ökologisierung der bundesdeutschen Gesellschaft. Und schließlich gibt uns die Zusammenschau ihres Lebens Aufschluss darüber, woher sie die Kraft nahm, sich über Jahrzehnte für die Natur, das Gemeinwohl und die res publica einzusetzen, ohne zu verbittern oder zu erstarren.

Als sie in einem Interview einmal gefragt wurde, ob denn auch eine private Klara Enss existiere, kam eine klare Antwort: Ja, die gäbe es und zwar sehr intensiv – aber „die lassen wir mal hübsch außen vor!“ Doch ohne die private wäre die öffentliche Klara Enss kaum zu verstehen. Klara Enss hat Sylt und der Naturschutzgemeinschaft einen umfangreichen Nachlass vererbt. Auf der Insel befinden sich etliche Regalmeter Archivmaterial aus ihrem politischen Tun. Einen Koffer mit 24 Tagebüchern vermachte sie der Sylterin Christiane Retzlaff. Klara Enss war es wichtig, aufzuzeichnen, was sie bewegte, was sie dachte, was sie sah. Sie hat diese Notizen immer wieder in die Hand genommen, zum Teil sogar redigiert, indem sie Seiten herausriss, Passagen und Namen schwärzte. Einige Jahre fehlen ganz. Sie war Herrin ihrer Erinnerungen. Und diejenigen, die überliefert werden sollten, gab sie weiter. Dieser Fundus und die Erinnerungen von Menschen, die sie gut kannten, machen es möglich, die biografischen Voraussetzungen für ihr freies und stringentes Handeln zu verstehen. Sie schuf sich selbst einen Rahmen, in dem ihre Unabhängigkeit und Verbindlichkeit gewährleistet waren. Gleichzeitig war sie zutiefst dankbar, dass sie überhaupt handeln konnte und dass sie nicht allein war, sondern viele andere mit ihr versuchten, den Lauf der Dinge zu beeinflussen. Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer fortwährenden Aktivität und Anstrengung in Politik, Umweltbewegung und Bürgerrechtsengagement, achtete sie auch stets darauf, sich zu besinnen, sich zu wundern und zu freuen. Insofern ist ihre Biografie auch eine Ermutigung, kritisch zu denken, politisch zu handeln – und gut zu leben.

Anna-Katharina Wöbse

Uni Giessen/ Naturschutzgemeinschaft Sylt.e.V.