Algen, Flechten, Folgeschäden der Nassrasur am FKK-Strand?

Nichts davon trifft zu, will man die Massen an „Gewölle“ bestimmen, die gerade am Sylter Strand liegen. Vielmehr ist es der Glöckchenpolyp Obelia longissima, der etwas an Schamhaar erinnert. Der fädige Polyp ist zusammengewürfelt mit Moostierchenkolonien (die weissen Blättchen). Es handelt sich also auch nicht um Algen, sondern um Tiere. In geringer Tiefe wachsen sie vor Sylt oft auf aus dem Boden ragenden Schalenklappen der Schwertmuscheln, aber natürlich auch auf anderen Hartsubstraten, wie stabil liegenden Steinen. Nur selten kommen sie in diesen Massen an den Strand. Warum das so ist, kann man nur vermuten. Eventuell hat die recht schnelle Erwärmung des Meerwassers zu starker, plötzlicher Vermehrung geführt. Vielleicht sind es auch die Windparks, die immer mehr Hartsubstrat über ihre Fundamente im weichen Nordseesand bilden, auf denen die Tiere siedeln können.

Nonnengansschwärme über Sylt sind ein Geschenk für einen nachhaltigen Natur-Tourismus

Die in Nordeuropa seit Jahren anwachsenden Bestände der Nonnengans sind das Resultat einer der wenigen Erfolgsgeschichten des Naturschutzes.

Foto: Thomas Luther

In den 1950iger Jahren war diese Vogelart, die zwischen dem Brutgebiet in Nordsibirien, dem Wattenmeer und den atlantischen Küsten Westeuropas pendelt, fast zu Tode bejagd worden. Deshalb wurde sie in Europa unter Anhang 1 der Vogelschutzrichtlinie gestellt und ihre Bejagung verboten. 

Zusammen mit ihrer „Schwester“ der dunkelbäuchigen Ringelgans war der Schutz dieser Wildgänse einer der „Motoren“ bei der Einrichtung der Wattenmeer-Nationalparke.

„Das Naturerbe Wattenmeer ist der wichtigste „Trittstein“ für diese Arten auf einem mehrere tausend Kilometer langen ostatlantischen Zugweg. „Unsere Schutzbemühungen hier wirken sich auf die Vögel entlang des gesamten Zugwegs von Sibirien bis Frankreich, England und die Niederlande aus“, sagt der Ornithologe und Rastvogelforscher Klaus Günther von der Schutzstation Wattenmeer. Ein Grund, weshalb der Verein Jordsand die Nonnengans als „Vogel des Jahres 2021“ ausgerufen hat.

Die inzwischen stabil angewachsenen Bestände sind jedoch nicht nur das Ergebnis eines internationalen Schutzprogrammes, sondern auch einer intensivierten Landwirtschaft. Diese bietet mit dem Anbau hochenergetischer Futterpflanzen entlang der Zugroute den Vögeln seit wenigen Jahrzehnten einen reich gedeckten Tisch. Wildtierbestände entwickeln sich von Natur aus in Beziehung zum Nahrungsangebot. Allerdings hat sich die zeitweise steil angestiegene Wachstumskurve der Nonnengans in den letzten Jahren deutlich abflacht.

Aktuelle EU-Gesetze verbieten nach wie vor die Jagd auf die Gänse. Das Land Schleswig-Holstein erlaubt dennoch Vergämungsaktionen, auch mit der Flinte, auf Antrag und auf bestimmten Flächen zu bestimmten Jahreszeiten. Dem wird stattgegeben, wenn Sachkundige die Umstände begutachtet  und besondere Härten für den jeweiligen Landwirt festgestellt haben. Zusätzlich werden Landwirte unter bestimmten Voraussetzungen finanziell entschädigt, wenn sie starke Verluste durch Gänsefrass nachweisen können.

Foto: Thomas Luther

Die Annahme, dass Wiesenvögel besonders unter der steigenden Zahl von rastenden Gänsen leiden würden, kann in Nordfriesland nicht bestätigt werden. Demgegenüber ist offensichtlich, dass ein Schuss oder andere Vergrämungsarten immer alle Vögel vertreiben- auch die seltenen Bodenbrüter, wie Kiebitze und Uferschnepfen. Dass Rinder  wegen des Gänsekotes Durchfall bekommen ist eine unbewiesene Behauptung. Tatsache ist jedoch, dass die Geflügelzucht und Massentierhaltung von Haustieren „Brandbeschleuniger“ von Virusepidemien sein können.

Um das Problem zwischen Naturschutz und Landwirtschaft zu lösen, wird derzeit nach gemeinsam getragenen Lösungen und Kompromissen gesucht, die den Landwirten als auch den Gänsen die Existenz sichert. So wird eine Zonierung an der Westküste Schleswig-Holsteins diskutiert, wo in ausgesprochen landwirtschaftlich genutzten Regionen die Tiere vergrämt werden dürfen. In anderen Gebieten, zum Beispiel überwiegend touristischen Regionen, die oft auch einen hohen Anteil an Grünland aufweisen, sollen sie geduldet werden und die Landwirte dort für Fraßschäden entschädigt werden. 

Sylt würde sicherlich zu den Auffanglagern dieser gefiederten Migranten gehören. Denn Gänseschwärme sind eine Attraktion für jeden, der die nordfriesische Wattenlandschaft liebt- besonders für Urlauber, die wegen der Natur zu uns kommen.

Zu einem nachhaltigen Sylt Tourismus mit Zukunft gehören auch Zug- und Brutvögel, von denen wir seit dem Bau des Eisenbahndammes und der resultierenden Fuchseinwanderung und des Massentourismus immer weniger auf Sylt haben. Sie sollten als lebendiges Geschenk für sanften Naturtourismus begrüsst werden. Vor dem Hintergrund eines weltweiten, massiven Artensterbens müssen wir besonders im Umfeld von Großschutzgebieten wie dem Nationalpark Wattenmeer der Landnutzung durch  Wildtiere absoluten Vorrang vor anderen Interessen geben.

Eine extensive Grün-Landwirtschaft auf Sylt könne bei einem intelligenten Management ohne Flinte durchaus zur Artenvielfalt beitragen. Mit der Schaffung von mehr insularen Grünlandflächen  könnte  also eine Lösungsmöglichkeit für die Belange der Sylter Viehzüchter möglich werden. Leider geht der Trend auf Sylt jedoch eher dahin, jedes Stückchen Inselfläche noch zu bebauen.

Lothar Koch

Was ist eigentlich der Sylt-Check?

Am 19.11. will Nikolas Häckel, der Bürgermeister der Gemeinde Sylt über den „Kriterienkatalog zur Bewertung von touristischen Vorhaben auf Sylt“ (s. unten) des Arbeitskreises Natur- und Umweltschutz Sylt, Kurz „Sylt-Check“ abstimmen lassen. In der Vorlage heißt es, das Papier, welches in Zusammenarbeit mit dem anerkannten Tourismusforschungsinstitut NIT entstand, solle bei Vorhaben im Gebiet der Gemeinde Sylt im Rahmen von Beschlussvorlagen standardmässig beigefügt werden.

Das ist ein winziger, aber doch lobenswerter Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und Syltverträglichkeit. Winzig, weil er nur informellen und keinen bindenden Charakter hätte, lobenswert, weil das Papier nun endlich, rund zehn Monate nach Erscheinen, von einer der Insel-Gemeinden eine Wahrnehmung und Würdigung erfährt. Letztendlich stehen im Hintergrund der Diskussion die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG), die vom Kreis Nordfriesland bereits beschlossen sind und sukzessive in den Gemeinden greifen sollen. Der Sylt Check wäre eine vereinfachte Form mit ganz ähnlicher Zielsetzung.


Der Sylt-Check ist ein Fragenkatalog, der Projektplanern, Genehmigungsbehörden, Gemeinderäten, Verbänden und Bürgerinitiativen helfen soll einigermassen objektiv zu beurteilen, ob ein Vorhaben, das auf der Insel durchgeführt werden soll, „syltverträglich“ ist, oder nicht. Mit „Syltverträglichkeit“ ist ein Begriff der Nachhaltigkeit entstanden, der speziell auf unsere Insel mit ihrer Landschaft, ihren Biotopen, ihren Kulturschätzen und Einwohnern ausgelegt wird. Er wurde am Ende eines über zweijährigen Diskussionsprozesses kreiert, den die hiesigen Natur- und Umweltverbände, die Sölring Foriining und weitere Institutionen aus dem Naturerlebniszentrum Sylt unter der Moderation des NIT geführt hatten.

Der Clou des Kriterenkataloges ist ein Punktesystem. Soll ein Projekt geprüft werden, muss es sich gefallen lassen, durch dieses Raster gecheckt zu werden. Liegt am Ende die Punktzahl über einem bestimmten Wert, ist es nach bestem Wissen der aktuellen Lage „syltverträglich“ und kann damit rechnen, ohne nennenswerten Widerstand der örtlichen Naturschutz- und Umweltschutzgremien weiter umgesetzt werden. Sollte die Prüfung jedoch unter einen Schwellenwert rutschen, ist mit öffentlicher Kritik und Massnahmen zu rechnen, die das Projekt behindern oder ganz blockieren.

Ein gutes Beispiel aus der näheren Vergangenheit ist das Projekt „Autokino auf dem Parkplatz Oase zur Sonne“. Hätten die Projektplaner den Sylt-Check im Vorfeld durchgeführt, wären sie rechtzeitig darauf gekommen, dass sie mit erheblichem Widerstand rechnen müssten. Das hätte möglicherweise zu Gesprächen und Anpassungen im Vorfeld geführt. Die Planer hätten sich eine Menge Geld sparen können, das in diesem Fall durch eine Blockade und endgültige Ablehnung verloren ging.

Insofern macht es Sinn, wenn die Gemeindevertretung am Donnerstag beschliesst, den Kriterienkatalog seinen Dienststellen als notwendigen Baustein bei der Projektgenehmigung vorrangig zu nutzen und dafürzuhalten sorgen, dass Antragsteller diesen vorgelegt bekommen. Dabei ersetzt der „Sylt Check“ selbstverständlich nicht die bereits bestehenden gängigen Kriterien, die bei einem Genehmigungsverfahren durchgeführt werden. Vielmehr ist Kriterienkatalog ein erster grober und unbürokratischer Hinweis, ob ein Projekt auf Sylt unter ganzheitlichen Nachhaltigkeits-Aspekten losgehen könnte, oder eher nicht.

Lothar Koch

Sylt Check Broschüre (s. ab Seite 25.)

Spargelstechen am Rantumer Strand

Manchmal wie ein Gemälde: Buhne im Seenebel

In Rantum hat das Ziehen der historischen Holzbuhnen mit schwerem Gerät begonnen. Die über vier Meter langen Eichenpfähle mit den durch Wind und Wellen verwitterten Enden erinnern wirklich an Spargel, wenn sie vom Bagger aus dem Sand gezogen werden. Kenner wissen: die Köpfe sind das Beste. So auch bei den Buhnen. Es gibt viele Sammler und Geschäftsleute, die scharf auf die dekorativen Buhnenköpe „Original vom Sylter Badestrand von ca. 1865“ wären. Oder Gartenbaufirmen, die gern die gewaltigen Findlinge hätten, die sich nun auf demLagerplatz auftürmen. Aber der Deal zwischen Land und Abbruchfirma NC ist wohl: alles gehört der Abbruchfirma.

Schade eigentlich: zum Teilhätte die Gemeinde Buhnen oder Steine dekorativ im Gemeindegebiet verwenden können. So wurde erst vor wenigen Wochen die „historische Buhne“ an der Rantumer Leuchttonne am Sandwall, mit Pfählen aus dem Baumarkt „restauriert“ statt auf die Originale aus dem Strand zu warten. Auch eine Versteigerung würden guten Zweck wäre sicherlich gut und Gewinn bringend gewesen.

Immerhin, nach Protesten von Einwohnern bleiben Rantum drei der historischen Bauwerke des Küstenschutzes aus dekorativen wie historischen Gründen erhalten.

Lothar Koch

Naturschützer erteilen Begehrlichkeiten von großen Kreuzfahrt-Reedereien im Wattenmeer eine Absage

Wegen der Einschränkungen durch die Corona Pandemie suchen große Reedereien nach neuen Zielen für ihre Kreuzfahrten in der näheren europäischen Umgebung. „Offenbar rückt jetzt auch der Nationalpark Wattenmeer mit seinen Inseln und Halligen zunehmend in den Fokus“, berichtet Katharina Weinberg, Naturschutzreferentin der Schutzstation Wattenmeer.

Erste Touren fanden bereits statt oder werden beworben. HAPAG Lloyd steuerte im Oktober 2020 die ostfriesische Insel Borkum an und auch Sylt steht auf ihrem Tourenplan. Andere Reedereien sollen ebenfalls in den Startlöchern stehen. So kündigt Hurtigruten die Gründung einer separaten Einheit für Expeditionskreuzfahrten an.

Naturschützer sehen diese Entwicklung mit Sorge. „Kreuzfahrttourismus ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell“, sagt Dennis Schaper, Stationsleiter der Schutzstation Wattenmeer auf Sylt. Die Schiffe fahren überwiegend noch mit Schweröl und haben selbst bei Einsatz von Katalysatoren oder Alternativtreibstoffen eine schlechte CO2-Bilanz. „Dazu kommen die Auswirkungen auf Inseln und Halligen, die jetzt schon von touristischen Aktivitäten überlastet sind. Da bedarf es keiner zusätzlichen Tagesgäste“, sagt Schaper.  

Die großen Schiffe können die Kais der Nordseeinseln wegen ihres Tiefgangs nicht direkt anlaufen. Passagiere müssen mit Schlauchbooten durch den Nationalpark Wattenmeer an Land gebracht, was zusätzlich Unruhe in schützenswerte Bereiche bringen kann. „In den Gemeindekassen bleibt durch die Kreuzfahrer nichts hängen und an der kurzfristigen, aber heftigen Besucherwelle aus einem solchen Schiff verdienen nur wenige Geschäfte und Gastronomen“, beklagt der Stationsleiter.

„Wir sollten auf den Inseln im Nationalpark Wattenmeer ein Zeichen setzen und den großen Kreuzfahrtunternehmen signalisieren, dass sie hier unerwünscht sind“, fordert Schaper. Eckernförde habe es an der Ostsee vorgemacht: Der Umweltausschuss hat beschlossen, ab 2022 keine Kreuzfahrtschiffe mehr in die Bucht zu lassen.

Schutzstation Wattenmeer

C. Goetze, L. Koch & D. Schaper